Alkohol-Zunahmi (1)

Seit einiger Zeit ist der gestiegene Alkoholgehalt von Wein immer wieder Thema verschiedener Publikationen. Der Tenor dieser Berichte ist in den allermeisten Fällen negativ, wobei die Winzer aber eher als Opfer denn als Täter dargestellt werden.

Schließlich ist der hohe Alkoholgehalt, so die gängige These, eine kaum zu vermeidende Folge des Strebens nach Qualität mit niedrigen Erträgen und der Jagd nach höchster Traubenreife. Und folgerichtig gibt es daher auch schon in Österreich Seminare, die den Weinbauern Strategien zu ihrer Vermeidung in Weingarten und Keller nahebringen sollen.

Verknüpft mit den geläufigen Szenarien zum Klimawandel wird aus dieser Erklärung für den vielen Alkohol im Wein eine Zukunftsprognose, vor der man sich wunderbar fürchten kann:

Die Natur bestraft den Weinfreak, der Mitschuld am Klimawandel trägt mit (zu) hohen Alkoholgehalten. Jahrhundertealte Weintraditionen, -stile und -gebiete werden vom Alkohol-Zunahmi überrollt und sind für alle Zeiten verloren.

Verschont werden nur jene Winzer, die rechtzeitig dem Bösen entsagen und den mitunter pseudo-religiös daherkommenden Gedankengängen des biodynamischen Weinbaues folgen, dessen Propheten ein früheres Einsetzen der physiologischen Reife (und damit weniger Alkohol im Wein) versprechen.

Das ist der Stoff, aus dem Hollywood-Blockbuster gemacht werden. Und dort paßt er auch besser hin, denn die Realität sieht zumindest in meinem Bereich ziemlich anders aus. Aber der Reihe nach:

Die Traubenreife, ein Mysterium?

Folgt man den gängigen Erklärungen, stammt der (zu) hohe Alkoholgehalt ausschließlich aus jenem Zucker, den die Rebe im Verlauf der Traubenreife in die Beeren einlagert. Und wie hier bereits ausführlich dargestellt, beschleunigen hohe Temperaturen (bei ausreichender Wasserversorgung) tatsächlich die Zuckerbildung weit stärker als andere Reifeprozesse.

Der Gedanke, dass bei heißem Klima mehr Zucker (und damit Alkohol) in den Trauben steckt, wenn diese ihre aromatische Reife erlangen ist also nicht falsch. Er läßt sich auch jederzeit nachvollziehen, wenn man z.B. einen hochwertigen Riesling von der Mosel und einen ebensolchen aus Australien nebeneinander verkostet.

Unbestritten ist auch die reifeverfrühende Wirkung niedriger Erträge, wie sie heute aus qualitativen Gründen weit verbreitet sind. Und ebenfalls nicht zu leugnen ist die Tatsache, dass die meisten Veränderungen in der Bewirtschaftung der letzten Jahrzehnte (z.B. in Sachen Reb- und Unterlagenselektion, Erziehungsform, etc.) höhere Zuckerwerte in den Trauben zum Ziel hatten.

Das gehäufte Auftreten von Weinen mit 14 Prozent oder mehr aus Gebieten, in denen solche Werte bis vor ein paar Jahren kaum vorstellbar waren, ist damit aber (für mich) trotzdem nicht zu erklären. Nicht zuletzt deshalb, weil die natürliche Zuckereinlagerung in die Beeren meist deutlich früher zum Stillstand kommt.

Durch Überreife mit oder ohne Botrytis läßt sich natürlich auch danach noch eine Zunahme der Zuckergrade erzielen. Zwingend notwendig für hochwertige und lagerfähige Weine ist dieses Plus an Alkohol im Wein aber zumindest meinen Erfahrungen nach nicht.

Dazu aber mehr in Teil 2.

18 Gedanken zu „Alkohol-Zunahmi (1)“

  1. Hallo Herr Fiedler,

    Sie sprechen die Lagerfähigkeit alkolstarker Weine an. In meinen Hinterkopf spukt schon seit längerem die These, dass gerade alkolreiche Weissweine (>14%) unharmonisch bzw.unharmonischer reifen als solche mit geringeren Alkoholgraden, während Rotweine (ich denke da an zB an Rote aus Chateauneuf du Pape) diesbezüglich wohl weniger Probleme haben.
    Können Sie dieses „Vorurteil“ bestätigen?

    Im Übrigen möchte ich betonen, dass ich es als Konsument regelmäßig als sehr angenehm empfinde, wenn Weine (egal ob rot oder weiss) nicht mit 14,X-Werten in mein Glas kommen. Insofern, die Zeit scheint reif dazu, Ihre Weine einmal in Ruhe zu probieren… in Deutschland sind sie eher selten im Handel vertreten, oder?

    Viele Grüße
    Guido
    – Nur ein paar Verkostungen –

  2. Hallo Guido!

    Der Zusammenhang zwischen Alkohol und Lagerfähigkeit wird eigentlich erst in Teil 3 zu meinem Thema. Als Vorgriff darauf möchte ich aber sagen, dass ich um so skepischer werde, ob es einen solchen überhaupt gibt, je mehr reifere Weine ich verkoste.

    Auch ich empfinde es so, dass Weißweine höhere Alkoholgehalte schlechter wegstecken können, als Rotweine. Nicht zuletzt deshalb ist die Aufbesserung bei hochwertigen Weißweinen im Unterschied zu den Roten für uns kein Thema.

    Ob die Zeit wirklich reif für nicht ganz so alkoholstarke Weine ist, wage ich zu bezweifeln. Manche Meinungsbildner schlagen zwar in diese Kerbe, aber wenn man sich den Erfolg der Alkoholbomber ansieht, ist eine gewisse Skepsis durchaus angebracht.

    Nichts desto trotz freue ich mich natürlich, wenn Sie an unseren Weinen (die nicht unbedingt ausgesprochen leicht aber eben zumindest meiner Meinung nach auch nicht übertrieben schwer sind) interessiert sind. Im deutschen Weinhandel sind wir nicht wirklich vertreten, aber ich mache Ihnen gerne ein Angebot zum Direktversand.

    Herzliche Grüße

    Bernhard Fiedler

  3. Hallo Herr Fiedler,

    dann bin ich sehr gespannt auf Ihren Teil 3!

    Ob die Zeit reif ist, kann man sicher so allgemein nicht beantworten. Dies hängt auch ganz von der unterschiedlichen Sichtweise ab:

    Ich ganz persönlich, als Konsument, überlege ich mir halt dreimal, ob ich einen Wein kaufe, der zB 15,X % Alkohol hat, weil die wenigsten Weine dies strukturell ohne negativen Einfluss verkraften.

    Als Winzer, und da mache ich mir als kleiner Konsument keine Hoffnung, folgt man natürlich in erster Linie den Anforderungen des Marktes. Und ich singe jetzt auch nicht das Klagelied der Parkerisierung und des Klimawandels…

    Umso erfreulicher, wenn man Winzer findet, die sich diesem Trend nicht um jeden Preis hingeben.

    Ich danke auch für Ihr Angebot. Ich schicke Ihnen eine PM.

    Viele Grüße
    Guido

  4. herzlichen Glückwunsch zur Nominierung bei den Born Digital Wine Awards in der Kathegorie Winzerblogs:-)!Übrigens der einzige, nominierte deutschsprachige Beitrag…

  5. Dankeschön Iris!

    Du warst beinahe die Überbringerin der frohen Botschaft, ich habe die Shortlist nur wenige Minuten vor deinem Beitrag eher zufällig entdeckt.

    Viele Grüße

    Bernhard

    P.S.: Hier gibt´s mittlerweile auch einen offiziellen Beitrag zu dem Thema.

  6. Hey Bernhard, Grüße aus New York. Eben hab ich erfahren, dass Du mit diesem Tsunami Artikel auf der Shortlist für die borndigital wine awards bist.
    Gratuliere!

    Willi Klinger

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