Verschwörung beim Heurigen

Krimi-Fans wissen es längst: Bei vielen Kriminalromanen sind die detailreich gezeichneten Charaktere der Protagonisten und die Beschreibung von Landschaft, Sitten, Gebräuchen und Speisen wichtiger als das Verbrechen, das es aufzuklären gilt.

So lernt man bei Andrea Camilleri Sizilien von einer ganz anderen Seite kennen, erfährt von Donna Leon einiges über Venedig und die italienische Freunderlwirtschaft, wird von Alfred Komarek und seinem Inspektor Polt in die Weinviertler Mentalität eingeführt und absolviert bei Mira Valensky von Eva Rossmann ganz nebenbei einen Kochkurs.

Besonders interessant ist das Umfeld der eigentlichen Handlung dann, wenn der Leser einen persönlichen Zugang zur Materie hat, der die Recherchen des Autors in einem ganz anderen Licht erscheinen läßt. Aus diesem Grund lese ich Wein-Krimis sehr gerne, wenn auch etwas „anders“, als andere Kriminalromane.

Ist der Schauplatz des Verbrechens dann auch noch meine unmittelbaren Heimat, ist dem Autor meine grenzenlose Aufmerksamkeit beim Lesen gewiß. Paul Grote hatte es also nicht leicht, mich mit seinem Kriminalroman „Verschwörung beim Heurigen“ zu überzeugen.

Das und vor allem wie es ihm trotzdem gelungen ist, ist durchaus bemerkenswert:

Ehekrise, Wein und Mord

Die Ehe der Breitenbachs ist auf dem Tiefpunkt angelangt. Zu weit scheinen sich die beiden Partner mit den Jahren auseinandergelebt zu haben. Johanna, die sich in ihrer Jugend aus Überzeugung vor Atommülltransporte gekettet hatte, hilft heute Großkonzernen dabei, die Schlupflöcher in der Umweltgesetzgebung auszunützen und ist zur toughen Karrierefrau geworden.

Und Carl, der Übersetzer für Deutsch, Portugiesisch und Englisch hat seinen gutbezahlten Job in Brüssel aufgegeben, um statt trockenen Akten portugiesische Romane zu übersetzen. Dabei hat er auch seine Liebe zum Wein entdeckt, die den Stein ins Rollen bringt.

Bei einer Präsentation von burgenländischen Weinbauern in Stuttgart lernt Carl die Winzerin Maria Sandhofer kennen. Weil ihm nicht nur ihre Weine gefallen, nimmt er ihre Einladung an, sie doch auch einmal im Burgenland zu besuchen. Nachdem es ihm gelingt, seiner Frau Johanna, einer begeisterten Windsurferin, den Neusiedlersee als Wassersportrevier schmackhaft zu machen steht einem dreiwöchigen Urlaub in Purbach nichts mehr im Wege.

Schon am zweiten Urlaubstag nimmt das Verhängnis seinen Lauf: Maria Sandhofer wird von einem Rotweingärtank gestürzt und der zufällig anwesende Carl wird zum Hauptverdächtigen der Polizei. Während er mit tatkräftiger Hilfe der Freundinnen von Maria versucht, den wahren Mörder zu finden, vergnügt sich seine Frau mit ihrem Surflehrer und überlegt, sich an dessen Surfschulprojekt zu beteiligen.

Das der fesche Hansi bei der Ermordung von Maria Sandhofer auch seine Finger im Spiel hatte, bleibt lange Zeit sein Geheimnis…

Mehr als das übliche Wein-Blabla

„Verschwörung beim Heurigen“ ist ganz sicher kein „großes“ Buch, das man unbedingt gelesen haben muß. Aber, um in der Weinsprache zu bleiben, es ist ein ehrliches und sorgfältig gemachtes Werk, das weit mehr zu bieten hat, als manch Bestseller.

Schon auf den ersten Seiten merkt man, daß der Wein für den Autor nicht nur ein Requisit seiner Handlung darstellt. Weindialoge wie dieser zwischen Carl Breitenbach und einer Zufallsbekanntschaft verleihen dem Buch auch für Weinfreunde eine besondere Glaubwürdigkeit:

„Er ist ein Blender!“
„Wer? Wen meinen Sie?“ Carl Breitenbach blickte sein Gegenüber bestürzt an, dann begriff er. „Ach so“, sagte er gedehnt, „ich dachte, Sie meinen…“ er zögerte wieder unentschlossen. Der Fremde kicherte vor sich hin. „Den Winzer?“ Er neigte abwägend den Kopf. „Nein…ich meinte natürlich den Wein.“

„Gewiss, ein Blender. Nur komisch“, hielt er kurz inne, „dass ich nicht gleich darauf gekommen bin.“
„Wäre ein schlechter Blender, wenn man ihm sofort auf die Schliche käme“, erklärte ihm der Fremde, „so ein Wein hätte den Namen nicht verdient. Auch ein negatives Prädikat muss man sich erarbeiten. Blender muss man machen können. Das schafft nur ein fähiger Winzer – oder Önologe.“

„Woran haben Sie´s bemerkt, das mit dem Blender?“
„Das sagt mir meine Nase, beim Wein wie bei den Menschen. Geht Ihnen das nicht auch so? Sie treffen jemanden, stehen ihm gegenüber – und auf einmal haben Sie ein komisches Gefühl. Das ist beim Wein nicht anders. Nennen Sie es Erfahrung, nennen Sie es Intuition, Instinkt, jeder hat ihn, ich glaube, man wird damit geboren, aber Intellekt und Wissenschaft gewöhnen es uns ab, darauf zu vertrauen.“

Jetzt steckte der Unbekannte seine Nase tief ins Glas, atmete ein und lächelte versonnen. „Der Winzer versteht sein Geschäft, er ist so gut, dass er eigentlich niemanden verarschen müsste. Der Wein ist hervorragend gemacht, der Mann ist ein ausgezeichneter Handwerker, aber der Wein ist und bleibt ein Blender. Es wäre interessant zu wissen, warum der Mann lügt, weshalb er andere hinters Licht führt.“

So kann nur jemand schreiben, der es versteht, auch beim Wein zwischen den Zeilen zu lesen. Und auch wenn man die Wein-Ansichten der Hauptfigur (bzw. des Autors) nicht immer teilt, macht es trotzdem Spaß, sich mit ihnen zu beschäftigen.

Liebevolle Recherche bis ins kleinste Detail

Die zweite große Stärke des Buches ist die akribische Recherche am Schauplatz der Geschichte. Nach meinen Informationen war der Autor Paul Grote mehrere Wochen im Burgenland unterwegs und hat dabei auch mit zahlreichen Winzern gesprochen. Das erklärt zwar manches, aber um die zahlreichen subtilen Anspielungen und Verknüpfungen im Verlauf der Recherche zu registrieren, die es bis ins Buch geschafft haben braucht es nicht nur Fleiß, sondern auch Talent.

Einiges von dem, was man im Buch über das Burgenland, seine Geschichte und die Menschen mit ihrer Mentalität und ihren Eigenheiten erfährt kommt in „normalen“ Gesprächen mit einem Fremden ganz sicher nicht zur Sprache. Und trotzdem gelingt es dem Autor, sehr authentische Bilder zu malen, auch wenn sie manchmal ein klein wenig überzeichnet erscheinen. Aber zugegeben, bei diesem Beispiel bin ich nicht ganz unbefangen:

Die Landstraße führte zwischen dem See und einem mit Wein bewachsenen Hang auf Mörbisch zu. Der Kirchturm war das höchste Gebäude, Hotels und Gästehäuser hielten sich zurück, niemand wollte zu hoch hinaus, aber alles wirkte ein wenig bieder und geharkt. Lag es an den vielen Geranien und am Oleander? – in der Masse wirkten sie erstickend. Außerdem haftete dem Ort etwas Zurückgebliebenes an, als wäre er vergessen worden.

Carl schrieb es der nahen ungarischen Grenze zu, da war bis vor einigen Jahren die westliche Welt zu Ende gewesen, inzwischen durften Radfahrer und Fußgänger von Frühjahr bis zum Herbst hinüber. Wenn die europäischen Grenzen endgültig fielen, würde Mörbisch einen großen Impuls erhalten – zumindest mehr Durchzugsverkehr.

Aber nicht nur der Ort des Geschehens, auch die handelnden Personen sind sehr liebevoll herausgearbeitet. Die meisten Figuren lassen ihre Vorbilder zwar erahnen, sind aber eindeutig fiktiv und trotzdem sehr stimmig.

Wobei es auch sehr unterhaltsam sein kann, wenn relativ eindeutig erkennbar ist, wer als Vorlage gedient hat:

Da kam Thomas Thurn, der einzige Winzer, den Carl bisher im Anzug gesehen hatte, eilig, wichtig, das Mobiltelefon am Ohr. Groß und schlank, hellgrauer Flanell und kurz geschnittener Bart, blendend weiße Zähne. Das Mädchen flüsterte mit ihm, sah zu den beiden neuen Besuchern hin, Thomas Thurn wandte sich Frank Gatow zu, aus dem Erstaunen wurde etwas, das ein Theaterbesucher als freudige Überraschung interpretiert hätte, und der Star-Winzer begrüßte ihn wie einen alten Bekannten.

Auch Carl bekam ein zähnefletschendes Jacketkronen-Lächeln ab, ihm wurde eine der Hostessen zugewiesen, der Thurn das Wort „wichtig“ zuraunte, während der Winzer mit Gatow im Arm plaudernd die Treppe hinunterstieg.

Verzeihbare Schwächen

Wie ein solider Wein für alle Tage hat auch dieses Buch seine Ecken und Kanten, über die man aber in Anbetracht seines Anspruches, seines Preises und des Vergnügens, das er/es bereitet gerne hinwegsieht.

Meiner Meinung nach hat der Buchtitel relativ wenig Bezug zur Geschichte, ganz abgesehen davon, daß es im Burgenland (zumindest ursprünglich) keine Heurigen gibt, sondern Buschenschenken.

Was für mich liebevolle Details sind, könnten andere Leser auch als etwas mühsame Detailverliebtheit betrachten. Zumal sich bei dem einen oder anderen Bezug zur Realität kleine Fehler einschleichen. So hat z.B. nicht das Burgenland 51.000 Hektar Rebfläche, sondern (auch nicht mehr ganz aktuell) ganz Österreich.

Trotzdem bietet „Verschwörung beim Heurigen“ knapp 400 Seiten lebendiges Lesevergnügen für Krimi-Leser, Weinfreunde, Burgenland-Begeisterte und solche die das eine oder andere davon werden wollen. Das sieht man übrigens beim LeseLustFrust-Blog ähnlich.

Für alle die noch mehr wissen wollen, gibt es hier eine Leseprobe und hier eine Burgenland-Fotostrecke mit Zitaten aus dem Buch.

Paul Grote
Verschwörung beim Heurigen
Deutscher Taschenbuchverlag
ISBN 3-423-21018-4
knapp 400 Seiten, € 8,90

4 Gedanken zu „Verschwörung beim Heurigen“

  1. Danke für den Literaturhinweis – das Buch liest sich ähnlich fesselnd wie jene (auch kulinarisch-önologisch interessanten) Romane von Veit Heinichen über den Karst und die Bucht von Triest. LG: Erwin

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