Blaufränkisch-Schrecksekunde

Heute haben wir die mittlerweile vierte Lesewoche mit einem unserer beiden besten Blaufränkisch-Weingärten begonnen. Die letzte intensive Begutachtung der Trauben ist zwar schon einige Tage her, aber die geschmackliche und die Zuckerreife waren zu diesem Zeitpunkt bereits sehr vielversprechend.

Außerdem war anzunehmen, dass der (zu) hohe Säuregehalt seither ähnlich wie beim bereits gelesenen Chardonnay deutlich abgenommen hat. Ab Mitte der Woche droht zudem die nächste Schlechtwetterfront, und damit wir in der dafür anfälligen Lage Hader nicht wie im Vorjahr gefährlich in die Nähe der Überreife kommen, haben wir uns am Sonntag zur Lese entschlossen.

Gegen 10.00 Uhr hat mein Vater die erste Ladung Trauben nach Hause gebracht, und gemeinsam haben wir sie abgeladen und in den Gärtank gerebelt. Anschließend machte er sich wieder auf den Weg zu unseren Erntehelfern.

Mit 18,5°KMW war der Zuckergehalt der Blaufränkisch-Trauben nicht ganz so hoch, wie erhofft, aber es ist ein gar nicht so seltenes Phänomen, dass ab einer gewissen Traubenreife der Zuckergehalt einfach nicht wesentlich über den Bereich zwischen 18 und 19°KMW steigt.

Kein Grund zur Sorge, also. Sicherheitshalber habe ich auch noch auf die Schnelle Säure und pH-Wert gemessen – und bin zu einem erschreckenden Ergebnis gekommen: Rund 10 g/l Säure bei einem pH-Wert von ca. 3,05, der mit Abstand „sauerste“ Wert der ganzen Ernte und ein Zeichen dafür, dass man trotz des hohen Zuckergehaltes nicht wirklich von Reife sprechen kann!

Nach kurzer telefonischer Beratung mit meinem Vater wurde die Blaufränkisch-Ernte (etwa bei der Hälfte) abgebrochen und die Mannschaft in einen Welschriesling-Weingarten umdirigiert, der eigentlich erst für morgen oder übermorgen geplant war.

Im Preßhaus bedeutet so ein Wechsel eine Grundreinigung von Traubenübernahmetrog, Rebler, Pumpe und Schläuchen, also eine gute halbe Stunde Arbeit, bis alle Geräte von rot auf weiß umgerüstet sind.

Erst am früheren Nachmittag habe ich mich wieder mit dem Blaufränkisch im Maischetank beschäftigt. Reif oder nicht reif, auch der verdient eine ordnungsgemäße Behandlung: Gründliches Durchmischen, Feststellen der Maischemenge, Berechnen der voraussichtlichen Weinausbeute und eine ordnungsgemäße Messung von Zuckergraden, Dichte, Temperatur, Säuregehalt und pH-Wert der homogenisierten Menge.

Und siehe da, von 10 Promille Säure und pH 3,05 war keine Rede mehr. Die „richtige“ Messung ergab knapp 7,5 g/l Säure und einen pH-Wert von 3,25, im Kontext des Jahrgangs also ein durchaus zufriedenstellender Wert.

(Anmerkung: Keine Ahnung, warum meine Blitzmessung so daneben lag. Vielleicht war ich ob der Eile schlampig, möglicherweise war meine Probenmenge nicht repräsentativ oder der Saft hat sich in den paar Stunden einiges an Mineralstoffen aus der Schale geholt, die die Säure deutlich puffern.)

Was aber tun mit den nicht gelesenen Trauben in der Riede Hader? Lesen, wie ursprünglich geplant? Warten gemäß Plan B, trotz guter Reife und normaler Säurewerte und auf noch mehr hoffen, dabei aber Botrytis riskieren?

Wir haben uns für das Lesen entschieden. Also nach dem Welschriesling wieder Blaufränkisch, und zum Glück konnten wir den Weingarten in der Riede Hader noch heute fertig ernten. Trotz eines (im Nachhinein gesehen) unnötigen Wechsels von Erntemannschaft und Preßhauslogistik.

Zum „Pokern“ haben wir noch drei lange Reihen Blaufränkisch in der Riede Goldberg hängen. Vielleicht wird unser Mut zum Risiko wie schon im Vorjahr auch heuer wieder belohnt.

1 Gedanke zu „Blaufränkisch-Schrecksekunde“

  1. Eine Stimmung wie an den Börsen – schnelle Entscheidungen, hohe (letztlich ebenfalls finanzielle) Risiken, komplexe und schwer vorhersagbare Einflüsse (Wetter, verflochtene biolog. Prozesse) – meine Hochachtung für Eure Nervenstärke und viel Glück! LG: Erwin

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