Der Verlust der Mitte

Das ist ein Artikel, den ich schon längere Zeit, eigentlich schon Jahre vor mir herschiebe. Er ist lang, sehr lang, wahrscheinlich nicht immer nachvollziehbar strukturiert und persönlich. Sehr persönlich.

Aber es geht um Wein, immerhin. Würde ich zum Plakativen neigen, wäre die Überschrift wohl „Orange“. Oder „Naturwein“. Dabei dreht er sich eigentlich um viel mehr.

Die Weinwelt im Fluss

Auch wenn sich die Weinwelt gerne konservativ und traditionell gibt, so war sie doch immer im Wandel. Neue Anbautechniken, neue Sorten, neue Krankheiten und Schädlinge, neue Verarbeitungstechniken und Weinstile hat es immer gegeben. Selbst Traditionshochburgen wie Bordeaux oder Burgund, von denen man meinen könnte, sie stehen seit Jahrhunderten für den gleichen Stil, die gleiche Machart von Wein haben sich immer verändert.

Alkoholerhöhung durch Anreicherung mit Zucker, später durch Mostkonzentration, der vermehrte Einsatz von neuen Eichenfässern, mehr Chardonnay und weniger Aligote und Pinot blanc hier, mehr Merlot und Cabernet Sauvignon und weniger Malbec und Petit Verdot da. Trauben nahe an der Überreife, niedrigere Säurewerte, weicheres Tannin, und, und, und.

Vieles davon wurde aktiv betrieben, um auf Umweltherausforderungen zu reagieren oder um mit gewachsener Erfahrung und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen die Qualität zu fördern. Manches allerdings war auch einfach nur eine Reaktion der Produzenten auf geänderte Vorlieben der Konsumenten. Oder derjenigen, die ihre Weine absatzfördernd bewerten.

Veränderung ist der Weinwelt also nicht wesensfremd. Neu ist allerdings ihre Geschwindigkeit und die Radikalität, mit der sie heute manchmal betrieben wird. Erstere kann man wahrscheinlich mit den Möglichkeiten unserer modernen, digitalisierten Welt erklären. Letztere lässt mich aber immer öfter ratlos zurück.

Pendelschläge

Der Weinskandal von 1985 war eine Zäsur für den österreichischen Wein, die kaum einen Stein auf dem anderen ließ. Dementsprechend heftig war die Reaktion von Weinbauern und Konsumenten. Da hauptsächlich süßliche Weine gepantscht wurden, galt quasi über Nacht ein trockener, alkoholarmer, möglichst säurebetonter Weinstil als Garant für unverfälschte Weine.

Heute würden wir viele Weiße der späten 80er-Jahre als Körperverletzung empfinden, aber damals waren diese Weine aus nicht besonders reifen Trauben mit unharmonisch hoher Säure das Nonplusultra.

Nur langsam  schwang das Pendel zurück in die Mitte, zu einem ausgeglichenen Weinstil mit reifer Säure und harmonischem Geschmacksbild. Nicht zufällig entstand genau in jener Zeit die bis heute weitergeschriebene Erzählung vom österreichischen Weinwunder.

Natürlich blieb das Pendel nicht in der Mitte stehen. Sein Ausschlag in die andere Richtung, jene mit deutlich höherem Alkoholgehalt und ein bisschen Restzucker in fast jedem Weißwein ist aber bis heute weit weniger stark, als die unmittelbare Reaktion auf den Skandal. Und wenn man ganz genau hinschaut, sieht man, dass das Pendel, der Weinstil, wohl bald wieder die Richtung wechseln wird.

Langfristig betrachtet dreht sich also eigentlich alles um die Mitte. Die Ausschläge in die eine oder andere Richtung sind letztlich nur Episoden, die  helfen das Thema Wein spannend und die Weinbauern beim dem Streben nach immer besserer Qualität in Bewegung zu halten.

Geschichte wiederholt sich nicht

Ein schönes Beispiel dafür ist die Verwendung von neuen Eichenfässern in Österreich. Die wurden ab Anfang der 1980er-Jahre erstmals von Weinbauern, die auf der Suche nach einem neuen, besseren (Rot-)Weinstil waren nach Österreich geholt und sorgten für große Diskussionen.

Lange Zeit wurden Barrique-Weine von den einen pauschal als fehlerhaft, als aromatisiert und unharmonisch abgeleht, von den anderen aber ebenso pauschal und unkritisch als internationale Spitzenklasse bejubelt, selbst dann wenn hinter dem Holz nur dünne Wässerchen zu finden waren.

Als klar wurde, dass es sich dabei nicht um eine kurzfristige Modeerscheinung handelt, errichtete man als Kompromiss ein bequemes Zweiklassensystem, das beiden Gruppen die Auseinandersetzung mit der anderen ersparte. Staatliche Prüfnummer, Etiketten, Winzer-Weinkarten und Weinwettbewerbe unterschieden sorgfältigst zwischen Barrique- und Nicht-Barique-Weinen.

Lang ließ sich diese Teilung aber nicht aufrecht halten, denn mit steigender Erfahrung der Weinbauern tauchten immer mehr Weine auf, die nicht so einfach zuzuordnen waren. Gehaltvolle Spitzenweine, die nicht nach dem Motto „Viel hilft viel“ in neuen sondern (auch) in älteren Barriques gelagert wurden und das Holz so gut integriert hatten, dass nicht mehr klar zu sagen war, wo der Wein endet und das Holz beginnt. Ambitionierte Alltagsweine, die eine kurze Zeit (auch) in alten Barriques verbracht hatten und nicht mehr nur pur fruchtig daherkamen.

Schließlich haben Konsumenten und Produzenten gelernt, mit der neuen Geschmacksdimension umzugehen, und heute stellt sich die Frage Barrique oder Nicht-Barrique kaum noch. Es ist Normalität geworden, dass mittelpreisige Weine vom Fassausbau beeinflusst sein können und dass es höherpreisige Weine fast immer sind. Rechts von dieser Mitte pflegen einzelne Produzenten immer noch ihren holzüberladenen Stil und sind damit ebenso erfolgreich, wie ihre „Gegenspieler“ auf der linken Seite, die die Barriques wieder völlig aus dem Keller verbannt haben und jetzt auf geschmacksneutrale(re) und größere Fässer schwören.

Man müsste die Augen ziemlich fest schließen, um darin nicht eindeutige Parallelen zur heutigen Diskussion um Orange- und Naturweine zu erkennen. Der Drang der einen nach neuen, spannenden Geschmacksaspekten, die Weigerung der anderen sich auf Neues einzulassen. Die Schwierigkeiten des Weingesetzgebers bei staatlicher Prüfnummer und Weinbezeichnungssystem darauf zu reagieren. Der nicht selten maßlos übertriebene mediale Hype um die neuen Weinstile und ihre Protagonisten. Der ebenso oft undifferenzierte Spott jener Weinbauern, die nicht bereit sind, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Ein weiterer Pendelschlag der längerfristig die ganze Branche vorwärts bringen wird also, eine gesunde Gegenbewegung zu den vielen sehr technologisch geprägten Weinen der letzten Jahre? Es gibt Aspekte, die diese Vermutung nahelegen. „Normale“ Weißweine, die durch kleine maischevergorene Anteile spannender werden, ohne orange zu sein. Vereinzelte Ansätze, den Technologieeinsatz zu reduzieren.

Trotzdem bin ich sehr skeptisch, dass uns die Orange- und Naturweinbewegung wirklich weiterbringt. Zu vieles läßt mich vermuten, dass sich die Geschichte nicht wiederholen wird.

Der Verlust der Mitte

Als Gegenreaktion auf zunehmend naturferne Praktiken im Weinbau und eine immer technologisiertere Kellerwirtschaft hat die biologische Wirtschaftsweise seit Jahren auch im Weinbau sehr stark Fuß gefasst. Anfangs heftig umstritten profitieren mittlerweile auch viele Nicht-Bio-Produzenten (wie ich) davon und integrieren Bio-Elemente in ihre Produktionsweisen.

Bis hierher folgt der Trend dem bekannten Muster. Die quasi Weiterentwicklung eines Teils der Bio-Szene zur Natur- und Orangeweinfraktion nimmt meiner Meinung nach aber einen anderen Verlauf.

Anders als die ersten Barriquewein-Erzeuger (für bessere, international anerkannte Rotweine) und das Gros der Biowinzer (für umweltschonenderen Weinbau)  definieren sich sehr viele Orange-Protagonisten vor allem über ihr Dagegensein. Gegen moderne Kellertechnik, gegen die ihrer Meinung nach vorherrschenden eindimensionalen Industrieweine, gegen den ahnungslosen Mainstream.

Zugegeben, manchmal sind es weniger die Produzenten selbst, als die sehr kleine, aber in den (sozialen) Medien sehr präsente und laute Gruppe ihrer Anhänger, die diesen Eindruck erwecken. Ich kenne aber wenige Orange-Winzer die sich aktiv dagegen wehren.

Oft wird mit den Argumenten übers Ziel geschossen, so getan, als wäre Naturwein frei von menschlichen Interventionen und jeder andere Wein zwangsläufig ein Kunstprodukt, selbst wenn sein Produzent den allergrößten Teil der zugelassenen Behandlungsmittel ablehnt.

Das allein würde mich aber noch nicht so nachdenklich machen, das war wohl auch in der Anfangsphase des Barriqueausbaus so. Wirklich bedenklich ist für mich die Sprache, mit der das passiert, die unversöhnliche Radikalität, der Hass, der nicht selten darin spürbar wird. Die Weigerung, den Fortschritt bei allen Irrwegen doch als etwas grundsätzlich Positives zu sehen. Die der Naturwissenschaft vorgezogene Esoterik, die an die Zeit vor der Aufklärung erinnert.

Natürlich ist auch die Gegenseite, die technologiegeprägten Produzenten und ihre Fans, nicht unschuldig am aufgeheizten Diskussionsklima. Wer sich als Kunstweinproduzent verunglimpfen lassen muß, obwohl er innerhalb aller gesetzlicher Vorgaben arbeitet, wem jeder Zugang zur Seele des Weines abgesprochen wird, der schießt genauso übertrieben zurück.

Leiden tut darunter die Gesprächskultur der ganzen Branche, weil die ausgleichende Mitte in diesen Wortgefechten kaum noch zu Wort kommt. Weinbauern, die in bewährter, sorgfältig abwiegender Praxis Weine mit so wenig Technologie wie möglich, aber eben auch so viel wie ihrer fundierten Meinung nach nötig keltern. Die weder hypermodern noch retro sind, sondern einfach versuchen in allerbester Tradition ehrliches Handwerk zu betreiben.

Für die einen sind ihre Weine altmodisch, nicht fruchtig und viel zu unspektakulär. Den anderen sind sie nicht puristisch genug und viel zu kompromissbereit.

Ob diese Entwicklung die ganze Branche langfristig weiterbringt, wage ich zu bezweifeln. Im Moment sehe ich darin in erster Linie eine Profilierung einzelner auf Kosten anderer in einem nicht einfacher werdenden Markt.

1 Gedanke zu „Der Verlust der Mitte“

  1. Mir fällt dieses Dagegen sein, dieses Alles-andere-schlechtmachen auch immer mehr auf und es nervt mich, ärgert mich. Im Weinbau wie in der Politik, bei Ernährungs- oder Erziehungsfragen, oder bei was auch immer. Jeder wirft seine Meinung in die Welt hinaus, stößt andere vor den Kopf. Manchmal ohne selbst eine Alternative parat zu haben, manchmal davon überzeugt, dass die eigene Meinung die einzig wahre ist. Und mit Worten und Argumenten, die möglichst extrem sein müssen. JA, die Gesprächskultur geht ab. Vielleicht sollte sich die Weinbranche wieder mehr dem widmen, im Keller zusammenzuhocken und zu verkosten. Dann überlegt man zweimal, ob man dem Gegenüber das vor die Füße wirft, was im Internet schnell getippt ist. Und nach dem einen oder anderen Glas, würde dem Vertreter der einen Seite, der Wein des anderen doch ganz gut schmecken und die Weinwelt wäre vielleicht wieder ein Stückchen besser.

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