Blindverkoster sind auch nur Menschen (1)

Manche Leute scheinen Weinexperten geradezu übersinnliche Fähigkeiten zuzuschreiben. Das liegt wahrscheinlich sowohl an der mitunter überzogenen Selbstdarstellung einzelner Weinkenner, als auch an den immer wieder gerne strapazierten Klischees im Fernsehen.

Selbst- oder fremdverliehene Titel a la „Weinpapst“ und die nicht seltene TV-Darstellung von Weinverkostern, die dem Wein blind jedes Geheimnis bis hin zum Erntetermin und der Anzahl der Lesehelfer entlocken, hinterlassen offenbar einen bleibenden Eindruck.

Dabei sind auch die geübtesten (Blind-)Verkoster nur Menschen. Und den besten von ihnen ist immer bewußt, dass irren zum Menschsein dazugehört und es in (Wein-)Geschmacksfragen niemals eine richtige, eine alleingültige Meinung geben kann.

Verkostungserlebnisse, die mich daran erinnern, zählen deshalb zu meinen wichtigsten Erfahrungen:

Mehr als nur knapp daneben
Oder: Die Tücken der eigenen Erwartungshaltung

Vor Jahren lud ein gut befreundeter Winzerkollege, der einen Praxisaufenthalt in Australien absolviert hatte, zur einer Verkostung von Spitzenweinen des fünften Kontinents. Die Einladung war mehr als vielversprechend, denn laut beiliegender Weinliste sollte es inklusive Penfolds Grange alles aus Australien zu kosten geben, was Rang, Namen und Preis hat. Um aber ein gewisses Maß an Spannung aufrecht zu erhalten, gab die Liste keinerlei Aufschluß über die Verkostungsreihenfolge.

So diskutierten wir, ein Dutzend durchaus erfahrene Verkoster, lang und breit über die Weine und vor allem natürlich deren Identität. Schließlich verleiten solche Blindverkostungen dazu, sich mehr mit dem Bestimmen von leicht verifizierbaren Etikettenangaben zu beschäftigen, als mit einer letztlich nie endgültig „richtigen“ Defininition von Farbe, Geruch und Geschmack.

Als einer der Anwesenden den dritten Weißwein als Chardonnay eines ganz bestimmten Weingutes aus Kalifornien identifizierte, wurde er von allen anderen, inklusive mir, kopfschüttelnd belächelt. “Der hätte die Einladung doch besser lesen sollen, dann würde er sich hier nicht so blamieren“, war wohl nicht nur mein Gedanke.

Bei den letzten drei Rotweinen war dieses heitere Zwischenspiel aber längst wieder vergessen. Die Wogen gingen hoch, denn jeder war sicher, den (recht markanten und von den meisten Anwesenden schon des öfteren probierten) Penfolds Grange erkannt zu haben. Aber jeder bei einem anderen Wein!

Als der Streit schließlich zu eskalieren drohte, schritt der Gastgeber ein und lüftete das Geheimnis: Keiner der drei Weine war der aus Shiraz-Trauben gekelterte Grange. Alle drei Weine waren Cabernet Sauvignons. Und kein einziger Wein des ganzen Abends kam aus Australien, es waren durchwegs Kalifornier.

Der Kollege mit dem Chardonnay-Tipp hatte nicht nur die Herkunft erraten, sondern auch Sorte, Weingut und Jahrgang. Zufälligerweise hatte er den gleichen Wein zwei Wochen zuvor intensiv verkostet und ihn sich offenbar gut eingeprägt.

Mehr als für diesen Glückstreffer (den er selbst ehrlicherweise auch als solchen betrachtete) bewundere ich ihn aber bis heute für den Mut, die eigene Verkoster-Meinung zu äußern, auch wenn sie noch so abwegig erschien.

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