Spannende Entwicklungen

Nicht immer tut ein Wein im Lauf seiner Entwicklung genau das, was man von ihm aufgrund langjähriger Erfahrung erwartet. Manchmal gibt es ein unverhofftes Happy End, hin und wieder aber auch eine böse Überraschung.

Unsere Chardonnay-Trauben waren bei der heurigen Lese fast perfekt. Die Verarbeitung erfolgte sorgfältig und ohne jegliche Komplikationen. Auch die Gärung setzte rasch ein und verlief lange Zeit zügig und problemlos.

Nachdem die Hefe etwa zwei Drittel des Zuckers vergoren hatte – man konnte hinter dem Gäraroma und dem Zucker schon die vielversprechenden Umrisse des fertigen Weines erahnen – verlangsamte sie plötzlich ihre Geschwindigkeit.

Sorgenvoll beobachtete ich via Dichtemessung Tag für Tag den mühsamen Fortschritt der Gärung und rechnete stündlich mit einem Steckenbleiben und damit einem unerwünscht halbtrockenen oder lieblichen Wein.

Um die Hefe zu stärken setzte ich auf möglichst behutsame Mittel. Ich erhöhte die Gärtemperatur von etwa 18 bis 19 °C auf 21°C und rührte täglich die abgesunkenen Hefezellen auf.

Nach einigen Wochen gab es endlich Entwarnung: Der Wein war durchgegoren, der Chardonnay gerettet! Die Enttäuschung folgte allerdings auf dem Fuß. Bei den ersten Verkostungen zeigte sich der Chardonnay enttäuschend, ohne Fruchtaromen, breit und rustikal.

Auch nach einigen Tagen, als man der schwierigen Phase der ausklingenden Gärung keine Schuld mehr geben konnte, war der Wein weit davon entfernt, ein Abbild der schönen Trauben zu sein, aus denen er gekeltert wurde.

Was war passiert? Hatte die schleppende Gärung nicht genug CO2 produziert, um den Wein vor Oxidation zu schützen? Hatte neben der Gärung ein biologischer Säureabbau begonnen, der Fruchtaromen maskiert und verändert? Hatte die höhere Gärtemperatur zu einer negativen Veränderung der Hefezellen geführt? Oder war ich nicht sorgsam genug gewesen, ohne es zu merken?

Bis heute habe ich keine Ahnung. In der Hoffnung auf eine Wende zum Guten oder zumindest zum Besseren entschied ich mich, gravierende Behandlungen vorläufig zu vermeiden. Der Oxidations- und Säureabbautheorie folgend schwefelte ich den Wein relativ bald und etwas stärker als normalerweise.

Da das Geläger geschmacklich in Ordnung war, rührte ich es alle paar Tage auf. Ich hoffte, daß es die „dumpfen“ Aromastoffe an sich binden könnte und gleichzeitig positiv zur aromatischen Komplexität des Weines beitragen könnte. Den Gedanken, den Wein abzuziehen und vielleicht das Geläger eines anderen Weines zuzugeben verwarf ich.

Als ich mich nach einigen Wochen gezwungen sah, mich mit dem Gedanken an einen eher mittelmäßigen Chardonnay anzufreunden passierte das Unerwartete: Innerhalb weniger Tage wurde das diffuse, rustikale Aroma klarer und klarer und der Wein ausdrucksstärker und feiner.

Noch ist er nicht so, wie er angesichts der Trauben sein müßte. Aber seine Entwicklung geht steil bergauf, auch wenn ich nicht verstehen kann warum.

Aber ich habe ja auch nicht verstanden, warum er nach der Gärung so enttäuschend war.

3 Gedanken zu „Spannende Entwicklungen“

  1. Hallo Bernhard,

    auch wenn wir nicht immer der gleichen Meinung waren (teilweise wohl durch die unterschiedliche Interessenslage als Produzent bzw. Konsument bedingt), für diesen Beitrag muss ich dir einmal meinen vollsten Respekt aussprechen.

    Es ist leider alles andere als selbstverständlich, von einem Winzer zu hören (bzw. zu lesen), dass nicht immer alles so läuft wie man es geplant hat. Solche detaillierten Erläuterungen heben sich doch sehr wohltuend von den üblichen Gesprächen mit Winzern ab, wo man eigentlich sehr oft nur vorbereitete „Werbesprüche“ zu hören bekommt.

    Auf jeden Fall wünsche ich deinem Chardonnay „gute Besserung“ und einen tollen Jahrgang 2006.

    Grüße,
    Gerald

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