Was Mittelalter und Kalter Krieg mit unserem Wald zu tun haben

Jedes Jahr um diese Zeit steht die Arbeit in unserem kleinen Waldbesitz auf dem Programm. Das Schneiden von Brennholz und Weingartenpfählen aus Akazien (richtigerweise Robinien) ist zwar nicht weiter bemerkenswert, die Geschichte unseres Waldbesitzes dafür aber umso mehr:

Im Jahr 1385 (nach anderen Quellen 1392) wurde Mörbisch am See Stadtdorf und damit Besitz der königlichen Freistadt Ödenburg (heute Sopron). Auch nach der Bauernbefreiung 1848 verblieben der Stadt Ödenburg große Besitzungen innerhalb des Mörbischer Gemeindegebietes, vor allem Wald, Schilf- und Seeflächen.

Der Friedensvertrag von Trianon nach dem ersten Weltkrieg sprach das heutige Burgenland („Deutschwestungarn“) inklusive seiner Hauptstadt Ödenburg der jungen Republik Österreich zu. Nach einer Intervention Italiens wurde später trotzdem für Ödenburg und die umliegenden Gemeinden eine Volksabstimmung über den Verbleib bei Ungarn beschlossen. Mörbisch entging diesem Schicksal damals nur, weil es nicht direkt an Ödenburg angrenzt.

Die Abstimmung unter heute unumstritten fragwürdigen Bedingungen erbrachte in der Stadt selbst eine Mehrheit für den Verbleib bei Ungarn, in den Nachbargemeinden hingegen eine Mehrheit für Österreich. Trotz dieses Ergebnisses wurden auch die Nachbargemeinden von den Siegermächten Ungarn zugeschlagen. Von diesem Zeitpunkt an, dem Jahr 1921, lag Mörbisch an einer Staatsgrenze und eine „ausländische“ Stadtgemeinde hatte großen Grundbesitz.

Während des zweiten Weltkrieges war diese Grenze kaum existent. Es war aber wohl kein Zufall, daß der Südostwall, der letzte Versuch, die Sowjet-Truppen am Einmarsch ins „Dritte Reich“ zu hindern, dann ausgerechnet entlang dieser Grenze verlief. Spuren der 1944 von Zwangsarbeitern und der einheimischen Bevölkerung errichteten Anlagen sind bis heute im Wald zu finden.

Nach Kriegsende wurden die früheren Grenzen und Besitzungen wiederhergestellt. Durch den beginnenden Kalten Krieg bekamen sie aber eine ganz neue Bedeutung. Nachdem bis zu diesem Zeitpunkt die Bestrebungen der Mörbischer gescheitert waren, den Grundbesitz von der Stadt Ödenburg/Sopron käuflich zu erwerben, schien dies unter den Bedingungen der Ost-West-Konfrontation noch viel weniger möglich zu sein. Bis der Zufall meinen Vorfahren eine einmalige Chance bot:

Anfang der 1950er-Jahre sank ein sowjetisches Donauschiff auf österreichischem Staatsgebiet und blockierte die Fahrrinne. Für die Reparatur benötigte die Sowjetunion dringend Devisen und über diverse diplomatische Verbindungen fand man die Lösung im Verkauf von Wald- und Seebesitz der Stadt Ödenburg. Diese mußte sich dem Willen des großen Sowjetbruders beugen. Unter großem Zeitdruck und mit hohem persönlichen finanziellen Risiko erwarb eine Hand voll Mörbischer den hunderte Hektar großen Besitz, um ihn für Mörbisch zu sichern und ihn in weiterer Folge ohne Gewinnabsicht aufzuteilen und weiterzuverkaufen.

Zu diesem Zeitpunkt gab es außerhalb des Ödenburger Besitzes keine größeren Waldflächen mehr auf Mörbischer Gemeindegebiet. Das letzte große Waldgebiet, der Haderwald, wurde in den 1920er-Jahren parzelliert und gerodet. Ursprünglich für die Nutzung als Ackerland, um die zu diesem Zeitpunkt rasch wachsende Ortsbevölkerung zu ernähren, später aber auch für die Pflanzung von Weingärten.

Um den Kauf leichter finanzieren zu können, wurde ein Teil des Waldes aus Ödenburger Besitz in den 1950er-Jahren ebenfalls gerodet und als Ackerland bzw. zur weinbaulichen Nutzung verkauft. Praktisch jede Familie in Mörbisch erwarb Grundstücke in der neu geschaffenen Riede „Breite Randl“ vulgo „Umrißäcker“. Auch die Schilf- und Seeflächen wurden parzelliert und verkauft und bis in die 1970er-Jahre als Futterflächen und zum Teil bis heute zur Schilfgewinnung genutzt. Auch wenn diese Flächen heute kaum einen Nutzwert besitzen, ist es doch eine Genugtuung, daß der Neusiedlersee nicht ausschließlich im Besitz der Familie Esterhazy ist, sondern daß auch meine Familie etwa 10 Hektar davon besitzt.

Die verbliebenen rund 150 Hektar Wald wurden von insgesamt rund 190 Besitzern erworben und bestehen bis heute. Da eine sinnvolle Waldbewirtschaftung bei Kleinstparzellen praktisch unmöglich ist, wird der Besitz als Urbarialgemeinde bewirtschaftet. Diese Organisation ist einem Verein oder einer Genossenschaft nicht unähnlich, hat aber ihre eigene, relativ strenge gesetzliche Verankerung und ist im kleinstrukturierten Burgenland sehr häufig.

Jedes Jahr werden vom Vorstand in Zusammenarbeit mit einem ausgebildeten Förster je 190 möglichst vergleichbare Schlägerungs- und Durchforstungsanteile markiert und nummeriert. Bei einer anschließenden Ziehung erhält jeder Waldbesitzer seine Anteile für das jeweilige Jahr. Da Robinien rasch wachsende, aber sehr kurzlebige Bäume sind, ist die Größe der Schlägerungsanteile so gewählt, daß der gesamte Waldbestand über etwa 50 Jahre nach und nach geschlägert wird. Jeder Besitzer fällt also jedes Jahr zwischen 10 und 15 Bäume, die rund 50 Jahre alt sind.

Bis Anfang der 80er-Jahre war die Gewinnung von Rebstecken und Pfählen für den Eigenbedarf sehr verbreitet. Aus diesem Grund wurde die Robinie stark forciert und hat die ursprüngliche Eiche weitgehend verdrängt. „Akazienholz“ ist eines der dauerhaftesten Hölzer im Freien und in der Erde. Gute Akazienpfähle für die Drahtrahmenunterstützung halten ein Weingartenleben lang. Der Rückgang der Weingartenfläche und die vermehrte Verwendung von Stahlstecken und -pfählen haben dazu geführt, daß heute vorwiegend Brennholz gewonnen wird.

Wir verwenden nach wie vor ausschließlich Akazienpfähle. Die haben zwar nicht nur Vorteile, sehen aber schöner aus, als Metallpfähle und sind in „Herstellung“ und Entsorgung (als Brennholz) am umweltfreundlichsten. Dafür werden möglichst gerade Stämme auf 2,5 Meter lange Stücke geschnitten und unter großer körperlicher Anstrengung vom längst pensionierten Faßbinder des Ortes mit einer Bandsäge je nach Dicke der Länge nach in zwei bis sieben Pfähle zerteilt.

Anmerkung: Der genaue Ablauf des Grundstückskaufes und der exakte Zeitpunkt ist meines Wissens nicht dokumentiert und daher nur mündlich überliefert. Auch wenn sich dabei gewisse Ungenauigkeiten eingeschlichen haben, ist der Kern der Geschichte wahr.

 

 

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