Stumme Zeitzeugen

Bernhard Fiedler im Faßkeller, Foto: steve.haider.com

Bei guter Pflege können Holzfässer ihren Dienst weit länger versehen, als der Kellermeister. Mitunter werden sie sogar von vier oder mehr Generationen befüllt, wie unsere bislang ältesten.

Beide hatten ein Füllvolumen von etwa 450 Liter, stammten aus dem Jahr 1901 (bzw. wurden zumindest in diesem Jahr geeicht) und waren damit schon 12 Jahre alt, als mein Großvater (väterlicherseits) geboren wurde.

Auch wenn wir diese zwei Fässer vor ein paar Jahren (aus Platzgründen, nicht weil sie kaputt gewesen wären) außer Dienst gestellt haben, sind in unserem Keller noch einige stumme Zeitzeugen im Einsatz.

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Das wahrscheinlich älteste noch „aktive“ Faß in unserem Keller stammt aus dem schicksalsträchtigen Jahr 1939. Eine genaue Altersangabe ist nämlich nur bei jenen Fässern möglich, die (meist bei der Herstellung) geeicht wurden. In diesen Fällen findet man unter dem Eichstempel die Jahreszahl, allerdings ohne die erste Ziffer (1).

Kurz bevor dieses Faß zum ersten Mal befüllt wurde, hat mit dem Polenfeldzug der Zweite Weltkrieg begonnen. Und während der erste Most gärend vor sich hin blubberte, hofften meine Großeltern und deren Eltern wohl nach der raschen Kapitulation Polens auf friedliche Zeiten. Vergeblich, wie wir heute wissen.

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Erst sechs leidvolle Jahre später war es endlich soweit, und 1950 war Österreich immer noch von den Alliierten besetzt. Bis zum Staatsvertrag sollte es weitere fünf Jahre dauern.

Trotzdem war 1950 wohl so etwas wie Aufbruchsstimmung zu spüren. Neue Fässer für die größer werdenden Ernten wurden angeschafft. Und wenige Tage bevor unser „Zehnhektoliter“ seinen ersten Jahrgang erlebte, kam mein Vater zur Welt.

Ein paar Jahre später brachte ein kleines Fässchen mit 637l Inhalt sogar internationales Flair in unseren Keller. Als Einweg-Transportgebinde kam es gefüllt mit dunkelrotem Verschnittwein aus Spanien oder Italien nach Österreich.

Und weil Lagerbehälter damals heiß begehrt waren, wurde es vom Importeur nach dem Entleeren weiterverkauft. Auf diese Weise kam es in den Besitz meines Großvaters und leistete uns bis Anfang der 90er-Jahre gute Dienste.

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Ab 1970 übernahmen meine Eltern nach und nach den Betrieb und damit auch die Fässer von meinen Großeltern. Wie damals üblich erhielt mein Vater von seinen Freunden zur Hochzeit ein ganz besonderes Geschenk, das bis heute schon viele gute Weißweine beherbergen durfte.

Die 1970er-Jahre waren die Zeit der größten Flächenausweitung im österreichischen Weinbau. Und um die immer größer werdenden Weinmengen unterzubringen, wurden damals sehr viele Fässer angeschafft. Kunststoffbehälter waren damals nämlich noch nicht  auf dem Markt, und Edelstahl war nahezu unbezahlbar.

Viele dieser Fässer erweisen sich aber als sehr kurzlebig und müssen früher aussortiert werden, als jene aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Damit sie die enorme Nachfrage befriedigen konnten, haben die meisten Faßbinder in der Zeit wohl dünnere und wesentlich kürzer abgelagerte Dauben verarbeitet.

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Der „Achthektoliter“ aus meinem Geburtsjahr scheint aber zum Glück sehr robust zu sein. Nach der Erneuerung seiner Eisenreifen vor ein paar Jahren wird er mich hoffentlich noch viele Jahrgänge begleiten.

Nach 1974 wurden lange Zeit keine neuen Fässer gekauft. Kunststoff- und später Edelstahltanks haben sich in der Weißweinbereitung durchgesetzt, und die frei werdenden weißen Fässer wurden für den steigenden Rotweinanteil verwendet.

1990 hielten dann die ersten Barriques Einzug in unseren Keller, aber obwohl wir sie bis zu etwa fünf Jahre – also vergleichsweise lang – nützen, kann man sie nicht mit „großen“ Fässern vergleichen. Sie sind und bleiben nur Gäste auf Zeit.

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Erst 2005 war es nach fast 30 Jahren wieder soweit. Ein 30- und ein 17-Hektoliter wurden angeschafft, um zwei altersschwache Fässer aus den 1970ern zu ersetzen.

Vielleicht werden sie auch noch den Kindern meiner kleinen Tochter, die in diesem Jahr geboren wurde, von Nutzen sein und ihnen Geschichten von längst vergangenen Zeiten erzählen…

6 Gedanken zu „Stumme Zeitzeugen“

  1. Servus Bernhard,

    ausgesprochen interessant und auch lehrreich! Erinnert mich ein bissel an meinen Besuch vor etwa 20 Jahren auf der Schwanburg in Südtirol, in deren Keller auch noch eine Unmenge eher kleinerer Fässer aus der Monarchie zu sehen waren (kaum größer als Barriques), allesamt geeicht, mit dem Doppeladler in der Mitte.

    Die Tatsache, dass die Eichprägungen nicht mit 2, sondern mit 3 Stellen ausgeführt wurden, lässt wohl darauf schließen, dass damals Fässer durchaus über mehrere Generationen – und also über 100 Jahre – in Gebrauch waren.

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