In allen Lebenslagen

Die wichtigste Tätigkeit im Weinkeller zwischen Weinlese und Weihnachten ist das Verkosten. Vor allem während der ersten Wochen verändern sich die Weine mitunter sehr schnell, aber auch danach ist es wichtig die Entwicklung der Jungweine ständig zu verfolgen.

Im Lauf der Zeit verdichten sich die vielen Einzelproben zu einem komplexen Bild des Weines, das dem Kellermeister hilft, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Damit dieses Bild so detailiert wir möglich ausfällt, braucht es nicht nur viele, sondern auch möglichst abwechslungsreiche Verkostungen.

Nur so erschließt sich dem Kellermeister der Wein in allen Lebenslagen des Weines wie des Winzers. Wie der Mensch ist nämlich auch der Jungwein manchmal in Hochstimmung und manchmal nicht ganz so gut drauf.

Deshalb kosten wir gelegentlich früh morgens, ein andermal mit leerem Magen vor dem Mittagessen, mit vollem Bauch am Nachmittag oder erst am Abend. Oft koste ich alleine, nicht selten aber auch gemeinsam mit meinem Vater und hin und wieder auch mit Kollegen, Freunden oder Kunden. Und immer wieder natürlich auch mit unserem Berater Philippe Ricoux.

Dabei gibt es keine fixe Probenfolge, sondern es regiert der Zufall in Form von Lust und Laune. Mal kommt der Veltliner am Beginn, dann starten wir mit Muskat Ottonel oder auch gleich mit Pinot blanc und Chardonnay. Es kommt auch vor, daß wir die Rotweine vor den Weißen verkosten oder nur die einen oder anderen.

Meistens kosten wir dabei im Keller, aber den richtigen Kontrast erhält unser Weinbild erst durch Vergleichsproben in der relativ „neutralen“ Atmosphäre des Verkostungsraumes. Und dadurch, daß wir uns meist Sonntags einen oder zwei Jungweine als Speisenbegleiter aus dem Faß holen.

Verkosten und trinken sind nämlich bekanntermaßen zweierlei. Und das Trinken eines Weines für sich allein ist nocheinmal etwas ganz anderes als das Genießen von Wein und Speisen gemeinsam.

6 Gedanken zu „In allen Lebenslagen“

  1. Inwiefern ist denn das „Verfolgen der Entwicklung der Jungweine im Keller“ handlungsrelevant? Welche Entscheidungen und welche nachträglichen Interventionen beschließt ihr denn beispielsweise bei näherer Betrachtung des „Heurigen“? (Wenn ich nicht so neugierig wäre… LG: Erwin)

  2. Hallo Erwin!

    Ein umfassendes Bild der Weine hilft zum Beispiel

    dabei, den richtigen Zeitpunkt für das Abziehen vom Geläger und/oder später die vollständige Entfernung der Feinhefe durch eine Filtration zu bestimmen. Wenn man die bisherige Entwicklung des Weines nicht genau kennt, kann man auch seine künftige nicht wirklich erahnen und damit entscheiden, ob die Anwesenheit der Hefe für diese Entwicklung gut oder weniger gut sein könnte.

    bei der Auswahl der Lagerbehälter und der Fixierung des Abfüllzeitpunktes. Es kann vorkommen, daß einem im Tank vergorenen Wein ein Umziehen ins Faß gut tut oder umgekehrt. Und es gibt Weine, die sich zwar stetig, aber sehr sehr langsam entwickeln und für die ein späterer Fülltermin besser sein kann. Genauso wie es Weine oder ganze Jahrgänge gibt, die sich auffallend schnell entwickeln (was nicht negativ gemeint ist) und die deshalb vielleicht früher in die Flasche können/sollen.

    bei kleineren kellertechnischen Eingriffen, in manchen Jahrgängen. Dabei habe kommen bei qualitativ hochwertigen Weinen eigentlich nur geringfügige Entsäuerungen in Frage. Eine analytische Säuremessung hilft kaum, wenn es darum geht, ob die Vorzüge eines Weines bei einem etwas geringeren Säuregehalt unter Umständen besser zur Geltung kommen. So etwas kann man nur über die Verkostung entscheiden und nur dann, wenn man den Wein in allen Lebenslagen schon einmal als sehr sauer und dann wieder als eigentlich ohnehin harmonisch empfunden hat.

    bei der Endzusammenstellung des Weines. Wie alle Winzer bauen ja auch wir im Keller wesentlich mehr verschiedene Chargen aus, als dann später auf der Weinkarte landen. Verschiedene Erntetermine bei einer Sorte (z.B. zur Risikostreuung), unterschiedliche Rieden und/oder unterschiedliches Rebalter, verschiedene Arten der Traubenverarbeitung oder Gärung oder andere „Versuche“ ergeben mitunter drei oder mehr verschiedene Weine pro Rebsorte. Und wie die am besten kombiniert werden können kann man nur entscheiden, wenn man die Vorzüge und auch die Schwachstellen der einzelnen Weine sehr gut kennt. So liefert der Weingarten aus der kühleren Lage vielleicht mehr Frische und Säure, wirkt aber solo etwas schlank. Der Wein von den alten Reben ist zwar substanzreich, aber vielleicht etwas breit und in zu geringer Menge vorhanden. Und ein anderer Weingarten mit anderem Rebmaterial verhält sich zwar am Gaumen eher unauffällig, besticht aber durch eine besonders intensive Fruchtigkeit….

    All das betrifft die Weißweine stärker, als die Roten, weil man bei den Rotweinen mehr Zeit bis zur Abfüllung hat und sich die Weine auch langsamer ausbauen. Aber im Prinzip gilt es auch dort, z.B. um den Sauerstoffbedarf des Weines, den er für die Reifung braucht einschätzen zu können. Und natürlich für den Umgang mit den Barriques, denn wir füllen die 2007er jetzt nach dem biologischen Säureabbau in die Barriques und ohne eine möglichst gute Einschätzung der Weine wäre es schwer, die richtige Faßauswahl (Holzart, Toasting, Neuholzanteil,…) zu treffen. Es sei denn man arbeitet nach Schema F (z.B. „100% neues Holz bei jedem Wein, egal wie der Jahrgang ist“.)

    BTW: Aus diesem Grund sind wir nach ein paar Jahren wieder davon abgekommen, den BSA im Barrique zu machen. Das bringt zwar eine sehr gute (und vor allem frühe) Holzeinbindung, ist aber meiner Meinung nach manchmal ein ziemlicher Schuß ins Blaue. Ich habe schon Weine erlebt, die von der „Papierform“ und vom Geschmack beim Pressen her kein Barrique von innen hätten sehen dürfen. Und die sich bis November oder Dezember so toll entwickelt haben, daß sie geradezu nach einem Barriqueausbau verlangt haben. Und es gab auch schon Weine, die vom Jahrgang und von den Trauben her für 100 Prozent neues Holz gut gewesen sind, denen aber nach dem BSA dann doch überwiegend gebrauchte Fässer besser zu Gesicht gestanden sind.

    Herzliche Grüße

    Bernhard

  3. Vielen Dank für den ausführlichen Kommentar – mich lässt er erahnen, wie komplex eure Wahrnehmungen und Entscheidungsrichtlinien sind und wiesehr euch das zu einem täglichen Selbstverständnis geworden ist – auch schön zu sehen, welche riesigen Gestaltungsspielräume sich da bei jedem Behandlungsschritt auftun….. (für jemanden, der gerne gestaltet und den nötigen Mut zum Wagnis aufbringt, ein verheißungsvolles „Terroir“). LG: Erwin

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