Jahrgangsbetrachtungen

Haider 76 bearbeitet

Nach dem ohrenbetäubenden Schweigen zur Qualität des Jahrgangs 2010 im vergangenen Herbst gibt es mit dem Anlaufen der alljährlichen Weinpräsentationen jetzt auch offizielle Stellungnahmen mit Winzer-Statements zur letzten Ernte.

Diese fallen naturgemäß einigermaßen zurückhaltend aus, und es ist durchaus verständlich, wenn manche nach den regelmäßigen und mitunter überzogenen Jubelmeldungen der letzten Jahre darin zwischen den Zeilen einen miserablen Jahrgang zu erkennen glauben.

Trotzdem sollte man es sich nicht zu einfach machen, und den Jahrgang allein aufgrund der „Papierform“ in Gestalt von Wetterdaten und Analysenwerten schon von Beginn an in die unterste Schublade stecken.

Wie beim einzelnen Wein ist die Frage der Qualität nämlich auch für einen gesamten Jahrgang oft gar nicht eindeutig zu beurteilen.

Schlechte Jahre

Dank des verbesserten Winzer-Know-Hows, allgemein niedrigerer (und deshalb auch gleichmäßigerer) Erträge und möglicherweise auch wegen des Klimawandels sind wirklich schlechte Jahrgänge sind zum Glück recht selten geworden. Nicht zuletzt deshalb sind sie auch relativ eindeutig zu identifizieren.

Fast immer geht es dabei um eine nicht ausreichende Traubenreife, die nicht einfach nur knapp das Optimum verfehlt, sondern mitunter sogar die eher niedrig angesiedelten gesetzlichen Minimalanforderungen.

Verschärft wird dieses Problem (nicht nur) in unserer Region durch ein frühes Einsetzen von Botrytis, die Aromastoffe zerstört, die Weine geschmacklich negativ prägt und ein weiteres Zuwarten mit der Lese unmöglich macht. Bei uns war das zuletzt 1996 der Fall und davor 1991.

Gute Jahre

Auch bei den ganz guten Weinjahren ist es noch relativ einfach, stellen sie doch zumindest theoretisch genau das Gegenteil dar: Perfekt ausgereifte und makellos gesunde Trauben, die ohne besonderes Zutun im Keller aromatische, gehaltvolle und doch ausgewogene Weine ergeben.

Wie bei einzelnen Weinen verschwimmt aber auch bei ganzen Jahrgängen im obersten Qualitätsbereich die Grenze zwischen Stil- und Qualitätsunterschieden. Oder ander gesagt: Ist ein Jahr mit etwas höheren Zucker- und etwas niedrigeren Säurewerten in den perfekt reifen Trauben besser, oder nur anders, als eines mit der gegenteiligen Tendenz?

Ist ein Jahrgang, in dem die Weißen in einer Region eine Spur besser gelingen, als die Roten oder Süßweine (oder umgekehrt) höher einzustufen? Oder eines der wenigen Jahre, in denen nahezu alle Weinsorten und Kategorien die oberste Liga erreichen?

Und die dazwischen?

Noch schwieriger wird es bei der Mehrzahl der Jahre, die nicht aufgrund von Wetter- und Reifedaten eindeutig in die eine oder andere Kategorie fallen. Nicht zuletzt deshalb, weil der Einfluß des Winzers in Weingarten und Keller zu einer enormen Bandbreite an Qualitäten führt.

Zwar ist jeder Jahrgang ein „Winzerjahrgang“, aber Jahre wie auch 2010 belohnen die Arbeit der ambitionierteren Weinbauern mehr, weil die positiven Auswirkungen ihrer Bemühungen wesentlich deutlicher im Wein zu schmecken sind.

Mitunter erreicht die Weinqualität durch eine Mischung von konsequenter Arbeit und der nötigen Portion Glück sogar Spitzenniveau, obwohl die Blüte spät, der Juli zu heiß, der August zu kühl oder der September zu naß war.

Und auch wenn daran nicht selten die eine oder andere kleine Korrektur (wie z.B. diese, diese, oder diese) im Keller beteiligt ist, handelt es sich im wesentlichen doch um ein Jahrgangs- und Naturphänomen.

Die Weinrebe ist nämlich bei guter Pflege und moderaten Erträgen eine sehr anpassungsfähige Pflanze, und manchmal erweisen sich die von ihr gemeinsam mit den Winzer mühsam erkämpften guten Weine als besonders spannend, wenn man ihnen die nötige Zeit zur Entwicklung gibt.

2 Gedanken zu „Jahrgangsbetrachtungen“

  1. Auch 2010 war wieder ein schwieriges und ein extremes Jahr für die Winzer – so haben wir es mitbekommen. Es ist aber immer wieder erstaunlich zu sehen, wie manche Gebiete einfach begünstigter liegen als andere – obwohl Sie von der Entfernung nicht sehr weit voneinander entfernt sind. In der Mosel z.B. mussten einige Winzer Ernteeinbußen von bis zu 50 Prozent hinnehmen. In Württemberg hingegen brachte der 2010er hohe Qualitäten.

  2. Vielen Dank für den überaus ausgewogenen Beitrag, aber auch für die drei Links im vorletzten Absatz(„diese, diese, oder diese“), die ich durchaus mit Genuss und Belehrung gelesen habe.

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