Der gläserne Wein (4)

Wie im ersten Beitrag angekündigt, stelle ich in dieser Serie jene Weinbehandlungsmittel und -zusatzstoffe ausführlich vor, die in unserem Keller bei der Weinbereitung zum Einsatz kommen. Das Gesamtbild unserer „gläsernen“ Weine entsteht dabei nach und nach in der entsprechenden Beitragskategorie und in Form von Querverweisen zu den einzelnen Teilen dieser Serie unterhalb des ersten Beitrages.

Most- und Maischeenzyme

Enzyme sind Eiweißsubstanzen, die biochemische Reaktionen erleichtern und/oder beschleunigen können. Mit diesen Eigenschaften spielen sie im Stoffwechsel der Natur eine tragende Rolle und sind daher in allen tierischen und pflanzlichen Lebewesen enthalten.

Dort wo der Kellermeister die Wirkung der von Natur aus in den Trauben vorhandenen Enzyme nicht abwarten kann oder möchte, werden seit einigen Jahren auch in der Kellerwirtschaft Enzyme als Zusatzstoffe verwendet.

Diese Enzympräparate werden in den meisten Fällen aus Pilzkulturen gewonnen, von unerwünschten Nebenaktivitäten befreit und in einer Dosierung von wenigen Gramm pro Hektoliter angewendet.

Pektinabbauende Enzyme können beim Weißwein helfen, das Fruchtfleisch der Trauben auch während einer (aus qualitativen Erfordernissen) kurzen und kalten Maischestandzeit abzubauen. Unter diesen Bedingungen reichen die traubeneigenen „Pektin-Enzyme“ nicht immer aus, um eine gute Auslaugung von Aroma- und Mineralstoffen zu gewährleisten und eine leichtere und damit schonendere Pressbarkeit zu erzielen.

Im Saft nach der Pressung verbessern diese Enzyme das Absinken der feinen Trubteilchen und können damit die (aus qualitativen Gründen erforderliche) Vorklärung vor der Gärung erleichtern.

Beim Rotwein kommen Hemizellulasen und ähnliche Enzyme zum Einsatz, die die Pflanzenzellen der Schale aufschließen und damit die Auslaugung von Farbstoffen und Tanninen verbessern können.

Einmal zugegeben verhalten sich die Präparate im Wein wie die traubeneigenen Enzyme: Sie reagieren genauso als Proteine mit Gerbstoffen, werden dabei denaturiert und zu „normalen“ Trubstoffen. Ein Teil wird während Gärung und Reifeprozeß abgebaut, und sie können ebenso durch eine Bentonitschönung aus dem Wein entfernt werden.

Keine Wundermittel

Auch wenn unter Wein“kenner“kreisen häufig anderslautende Gerüchte kursieren können Enzyme kraft ihrer biochemischen Definition keine neuen Farb- und Aromastoffe im Wein erschaffen, sondern nur helfen, bereits in der Traube Vorhandenes zum Vorschein zu bringen.

Und nachdem sich die Enzympräparate nicht grundlegend von den traubeneigenen Enzymen unterscheiden, können sie auch keine grundlegend anderen Geschmackstoffe zum Vorschein bringen als die Enyzme der Traube selbst.

Der Grund für den Einsatz von Enzymen liegt daher im Prinzip vor allem in einer gewissen Zeitersparnis, die eine schonendere und raschere Verarbeitung ermöglicht, was der Qualität und dem Weinstil zugute kommen kann.

In meiner Praxis

Nach einigem Experimentieren verwende ich seit mehreren Jahren kaum noch Enzyme bei der Vinifizierung unserer Weine. Das hat aber weniger mit einer prinzipiellen Abneigung dagegen zu tun, als mit meinen praktischen Erfahrungen:

Beim Weißwein führen wir aus stilistischen Gründen nur recht selten eine Maischestandzeit zur Auslaugung von Aroma- und Extraktstoffen aus der Schale durch. Damit fehlt der Anlaß für den Zusatz von Maischeenzymen, und wenn wir uns doch zu einer Maischestandzeit entschließen ist die Maische mangels Kühlmöglichkeiten meist so temperiert, dass die traubeneigenen Enzyme den Pektinabbau in vertretbarer Zeit schaffen.

Die traubeneigenen Enzyme arbeiten auch nach dem Pressen im Most noch weiter, weshalb ich auch in diesem Stadium keine Enzympräparate verwende. Nach meinen Erfahrungen erhält man auf diese Weise nach dem Absetzen der Trubstoffe über Nacht einen verhältnismäßig klaren Saft mit einem vertretbaren Anteil von feinsten Trubstoffen und ein Trubdepot von wirtschaftlich vertretbarem Ausmaß.

Der Einsatz von Klärenzymen führt in der selben Zeit zu einem beinahe spiegelklaren Saft und einer deutlich größeren Trubmenge am Tankboden. Mit dieser Aufteilung bin ich als Kellermeister nicht besonders glücklich. Ein zu klarer Traubenmost neigt zu fehleranfälligen schleppenden Gärungen, weil der Hefe Nährstoffe und „Anknüpfungspunkte“ fehlen. Und ein großes Trubdepot bedeutet entweder viel (Geld-)Verlust (wenn man daraus ungeklärt einen minderwertigen Wein für den Faßweinverkauf produziert) oder viel Arbeit und Kosten (wenn man sich die Mühe macht, die Trubstoffe herauszufiltrieren).

Während die Verwendung von Enzymen beim Weißwein bei uns nur eine kurze Experimentalphase dargestellt hat, hat ihr Einsatz bei den Rotweinen eine längere Geschichte. Über zehn Jahre haben wir regelmäßig „Rotweinenzyme“ verwendet, um die Extraktion von Farbe, Aroma und Tannin aus der Schale zu beschleunigen und zu verbessern.

Erst Jahrgänge wie 2000 mit außergewöhnlich reifen Trauben und ein gestiegenes Wissen um die Reifebeurteilung und Leseterminfestlegung haben mich davon überzeugt, dass die Aromen und Tannine in der Schale leicht extrahierbar sind und die traubeneigenen Enzyme keine Unterstützung benötigen.

Da ich keinen eindeutigen Geschmacksunterschied zwischen den Weinen mit traubeneigenen und und solchen mit zugegebenen Enzymen feststellen konnte, habe ich in den letzten Jahren überwiegend auf Rotweinenzyme verzichtet. Möglicherweise sind dadurch unsere leichteren Roten in etwas spätreiferen Jahren eine Spur heller in der Farbe geworden, aber damit kann ich (und offenbar auch unsere Kunden) leben.

Fazit

Maische- und Mostenzyme sind Hilfsmittel in der Weinbereitung, die nicht zwingend notwendig sind, die aber in manchen Fällen die Verarbeitung erleichtern und verbessern können.

Ihr Einfluß auf den Geschmack des Endproduktes ist je nach Einsatz und Vergleichsmaßstab entweder gar nicht wahrnehmbar oder so geringfügig, dass er durch andere Faktoren der Weinbereitung (wie z.B. Art der Traubenverarbeitung, Wahl des Behälters, Gärtemperatur etc.) bei weitem übertroffen wird.

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