Verkostungsnotizen und Nachvollziehbarkeit

Weinverkosten ist eine zutiefst subjektive Sache und noch viel mehr die Beschreibung von Weinen, da sie überwiegend auf Vergleichen beruht, die nicht von jedermann gleich interpretiert werden. Dieser Umstand ist jedem guten Verkoster bewußt. Trotzdem (oder deshalb) gibt es auch unter (vermeintlichen) Profis eine Fülle an mehr oder weniger nachvollziehbaren Weinbeschreibungsstilen:

Den Versuch einer versachlichten Beschreibung nach einem gut strukturierten Schema, z.B. dem des englischen Wine and Spirit Education Trust bzw. seines Partners, der Weinakademie Österreich (Seite 55) :

strahlend klar, dunkles Rubinrot mit jugendlich-violettem Rand; kräftige Schlieren

in der Nase sauber, mittlere Intensität, jugendlich fruchtige Aromen nach dunklen Beeren, etwas Würze (Pfeffer, Zimt) und ganz dezent spürbarer Holzeinsatz, mittlere Komplexität

am Gaumen trocken mit mittlerer, gut eingebundener Säure, Brombeerfrucht und etwas rauchig-röstig; mittlerer Körper, noch etwas jugendlich-rauhe aber nicht unangenehme Tanninstruktur, kräftiger Alkohol, mittlere Länge, würziger Nachhall

ein guter bis sehr guter Wein, ausgewogen und mit gutem Körper; noch etwas jung und in zwei bis drei Jahren auf dem Höhepunkt, sollte sich ab diesem Zeitpunkt für einige Jahre in sehr guter Qualität präsentieren

Ebenso die zwar nie falsche, aber auch nie wirklich aussagekräftige Beschreibung mittels Analysendaten:

13,25%vol Alkohol, 1,8g/l Restzucker, 5,3g/l Säure und 26,2g/l zuckerfreier Extrakt 

Aber auch mehr oder minder lyrischen Beschreibungsstile der verschiedenen Weinjournalisten bzw. der verschiedenen Weinmedien. Im besten Fall gleichen diese den meist vorhandenen Mangel an Nachvollziehbarkeit durch ein Anregen der Phantasie des Lesers aus, zum Beispiel so:

animierende, in die Tiefe gehende Schokoladen- und Kirscharomen, Pistazien; floraler Geschmackseindruck mit viel dunkler Beerenfrucht, saftig, schmelzige Textur, charaktervoll, gekonnter Holzeinsatz, hat so etwas wie alle guten Eigenschaften

Im weniger guten Fall sind die Beschreibungen einfach nichtssagend, nämlich so:

fordernde Frucht nach reifen Kirschen; steht sehr stolz da, herzhaft, logisch am Gaumen, vermittelt so etwas wie Heimatgefühl

So viele völlig beliebige Ausrücke in eine so kurze Beschreibung zu packen ist auch schon fast eine Kunst. Selbst wenn man mit fordernd, stolz und herzhaft noch ansatzweise Weineigenschaften verbinden kann, logisch ist mir ein Wein noch nie erschienen und Heimatgefühl ist wohl das am unterschiedlichsten interpretierte Wort überhaupt. Für die einen ist es dumpf, altmodisch und rückständig und für die anderen ehrlich, echt, naturnah und unverwechselbar.

Interessant ist, daß die letzte Beschreibung von der gleichen Autorin stammt, wie die vorletzte und über einen ählichen Wein verfasst wurde, der bei der gleichen Verkostung probiert wurde…

4 Gedanken zu „Verkostungsnotizen und Nachvollziehbarkeit“

  1. Na ich tipp mal, beim 2. Wein hat die gute Dame schon zuviel probiert gehabt. Wie sonst soll man „fordernd“, „stolz“, „herzhaft“ (= knackig) kombiniert mit „Heimatgefühl“ (Sehnsucht nach dem Bett) sonst verstehen?

    War’s vielleicht gar die fesche Russin von Pigotts Latour-Vertikale 🙂 ?

  2. Die VINARIA-Abtrünnigen? Das muss ja seriös sein, oder, zumindest bei der 1. Ausgabe? Ihr Winzer habt schon großes Vertrauen in die Journaille …

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