Von der Traube zum Weißwein, Teil 4

Die Gärung und ihre „Nebenwirkungen“

Die alkoholische Gärung ist die „Geburtsstunde“ des Weines. Die echte Weinhefe (Saccharomyces cerevisiae), übrigens ein Pilz und nicht wie immer wieder fälschlich behauptet ein Bakterium, verstoffwechselt dabei Zucker zu Alkohol (Ethanol), Kohlendioxid (CO2, fälschlich: Kohlensäure) und Wärme.

Bei der Gärung von einem Liter Traubensaft mit mittlerem Zuckergehalt werden etwa 50 Liter (nein, kein Schreibfehler) Kohlendioxid frei, das sich als berüchtigtes Gärgas in Bodennähe sammelt, da es schwerer als Luft ist. Es ist geruchlos und wirkt erstickend, da es die Luft im Keller verdrängt und ohne Ventilatoren nicht von allein nach oben entweicht.

Pro Volumsprozent Alkohol, das entsteht, erwärmt sich der Most bei mittelgroßen Behältern und nicht besonders kalten Umgebungstemperaturen um ein Grad Celsius. Bei einer zu stürmischen Gärung steigt also die Temperatur von etwa 18°C auf 30°C an!

Als „Nebenwirkung“ dieser „Hauptreaktion“ passiert mit dem gärenden Traubensaft folgendes:

Der Säuregehalt sinkt, da ein Teil der Weinsäure mit Kalium zu einem Salz auskristallisiert und als Weinstein (Kaliumhydrogentartrat) ausfällt, weil es in der alkoholischen Lösung Wein schlechter löslich ist, als in der wäßrigen Lösung Traubensaft.

Aromastoffe aus der Traube, die an Zucker gebunden und damit nicht riechbar sind werden freigesetzt und neu Aromastoffe entstehen aus dem Nebenstoffwechsel der Hefe und chemischen Reaktionen.

Die Farbe des Mostes wird heller, auch ursprünglich braune Moste werden zu hellen, reduktiven Jungweinen, da die Hefe sehr viel Sauerstoff an sich binden kann und dieser nicht mehr mit Weininhaltsstoffen reagiert.

Ein Teil der Gärungskohlensäure bleibt gelöst im Wein und macht aus dem stillen Traubensaft einen leicht prickelnden Jungwein.

Ein rascher Gärbeginn

Solange ein Traubensaft nicht gärt, ist er sehr anfällig für den mikrobiologischen Verderb. Schimmelpilze, Essig- und andere Bakterien und alle möglichen Hefearten können sich vor allem bei nicht allzuniedrigen Temperaturen und bei einem Verzicht auf eine Schwefelung der Maische oder des Mostes leicht und schnell vermehren und allerlei biochemische Reaktionen herbeiführen.

Sobald die Gärung beginnt und die echte Weinhefe dominiert, werden die meisten anderen Mikroorganismen von der sich rasant vermehrenden Hefe verdrängt, sterben durch den entstehenden Alkohol ab oder haben keinerlei Vermehrungsmöglichkeiten, da das Gärungs-CO2 jeglichen Sauerstoff aus dem Most treibt.

Aus diesem Grund ist dem Kellermeister ein rascher Gärbeginn wichtig. Er verkürzt zwar die Phase, in der das Entschleimen und eventuelle Mostbehandlungen durchgeführt werden können, aber er verringert auch das Risiko für Fehlenwicklungen im Moststadium.

Wird die alkoholische Gärung von den auf den Trauben bzw. im Keller (Schläuche, Geräte, Behälter,…) vorhandenen Hefen durchgeführt, spricht man von einer Spontangärung. Werden für die Gärung einzelne Hefestämme, die in einer Versuchsanstalt aus einem spontan gärenden Most selektioniert und später kommerziell vermehrt wurden verwendet, nennt man das Reinzucht-Gärung.

Beide Varianten haben ihre Vor- und Nachteile und auch wenn hier und hier und anderswo schon wahre Glaubenskriege darüber ausgefochten wurden, ist die Frage der Gärung keine Qualitäts- sondern eine Stilfrage:

Spontanvergorene Weine sind häufig vielschichtiger und komplexer in der Aromatik und weisen einen höheren Extraktgehalt (Glycerin) bei niedrigerer Alkoholausbeute aus dem gleichen Ausgangszuckergehalt auf. Das kommt daher, daß bei der Spontangärung am Beginn der Gärung eine größere Vielfalt an Mikroorganismen aktiv ist, bis sich die echte Weinhefe dominant durchsetzt. Spontangärungen sind allerdings auch risikoreicher, was Weinfehler betrifft. Sehr oft entstehen dabei Aromastoffe, die von manchen als besonders komplex, von anderen aber als unangenehm und fehlerhaft empfunden werden.

Da mit dem Entschleimen auch der Großteil der Hefezellen aus dem Most entfernt wird, setzt die Spontangärung meist nur sehr langsam ein, was man aber durch eine kleine Menge Most, die vor der Haupternte gelesen wird und als Spontanhefeansatz dient verhindern kann.

Weine, die mit Reinzuchthefe vergoren wurden, sind in der Regel „reintöniger“, was viele als positiv, manche aber auch als weniger ausdrucksstark interpretieren. Normalerweise setzt die Gärung mit Reinzuchthefe rascher ein und führt zu einer rascheren Dominanz der Weinhefe. Fehlaromen und Substanzen, die zwar nicht schmeckbar sind, aber trotzdem der Bekömmlichkeit nicht gerade zuträglich werden so weitgehend verhindert. Meist produzieren die Reinzuchthefen etwas mehr Alkohol und etwas weniger Extraktstoffe aus dem vorhandenen Zucker, was die Weine tendenziell schlanker erscheinen läßt (was in Blindverkostungen aber wohl kaum statistisch gesichert zu unterscheiden ist).

Mittlerweile werden hunderte von Hefestämmen als Reinzuchthefen angeboten. Alle wurden irgendwann irgendwo aus einem spontan gärenden Most selektioniert, positiv auf ihre Gäreigenschaften getestet und vermehrt. Da mit Reinzuchthefe offenbar einiges Geld zu verdienen ist, verleitet der Konkurrenzdruck die Branche der Hefehersteller zu immer gewagteren Werbeaussagen über ihre Produkte. So werden wahre Wunderhefen angepriesen: Für jede Sorte ein eigener Stamm, der die Sorteneigenschaften besonders gut zum Ausdruck bringen soll. Für jeden Weintyp (Jungweine, komplexe Lagerweine, Barrique-Ausbau, lange Hefelagerung,…) ein Produkt und für jeden Jahrgang ein geeigneter Stamm. Um die Mikroorganismen-Vielfalt der Spontangärung am Beginn der Gärung zu imitieren werden mittlerweile sogar Reinzuchthefen gemischt mit anderen „ungefährlichen“ Mikroorganismen angeboten.

Gegner der Reinzuchthefe werfen ihr oft vor, sie uniformiere die Weine und verwische die Sortenunterschiede und das „Terroir“. Als Beweis dafür werden fast immer die Werbeaussagen der Hefehersteller herangezogen und offensichtlich für bare Münze genommen. Dabei ist die Auswahl des Hefestammes nur ein Faktor von sehr vielen, die die Gärung und damit den späteren Wein beeinflußen (neben Entschleimung, Gärtemperatur, Hefelagerung, Behälterart und -größe,…). Dementsprechend gering ist der „Gestaltungsspielraum“ durch die Hefeauswahl.

Selbst bei sogenannten „Aromahefen“, die selbst auch Aromastoffe produzieren und damit den Weincharakter verändern ist die Hefe meist nicht der alleinige Schuldige am uniformen Weinstil. Fast immer werden solche Hefen bei sehr niedrigen Gärtemperaturen angewendet. Diese Temperaturen bringen jede Hefe in Streß, was zu eindimensionalen und kurzlebigen Bonbonaromen führt.

5 Gedanken zu „Von der Traube zum Weißwein, Teil 4“

  1. „Aromastoffe aus der Traube, die an Zucker gebunden und damit nicht riechbar sind werden freigesetzt und neu Aromastoffe entstehen aus dem Nebenstoffwechsel der Hefe und chemischen Reaktionen.“

    Danke.
    Diese Ausführung beantwortet mir endlich meine Frage, warum Wein nicht einfach nur nach Trauben schmeckt!

  2. Man könnte sogar soweit gehen, zu sagen, daß Wein geschmacklich mit Trauben eigentlich herzlich wenig zu tun hat. Ein Grund, warum ich ein Süßreserve-Skeptiker bin, denn Traubensaft ist zwar das Vorstadium von Wein, aber geschmacklich eine ganz andere Welt.

    WEINtrauben-Sorten sind geschmacklich oft recht unspektakulär und unterscheiden sich aromatisch wenig, wenn man von Aromasorten wie Muskat, Traminer, Sauvignon und Riesling absieht. Unterschiede zwischen den Sorten sind eher über das Aussehen, die Textur und den Säuregehalt zu erraten. Ihre wahre Größe zeigen diese Sorten erst als Wein, der Name hat daher durchaus seine Berechtigung.

    TAFELtrauben hingegen schmecken meist als Trauben besonders intensiv und verführerisch. Die Weine daraus sind allerdings oft von bescheidener Qualität.

  3. Kleiner Widerspruch 🙂
    Das was Gemeinhin als Aromahefe bezeichne twird, sind nicht Hefen die irgendwelche Aromen dem Wein zufügen oder völlig neue Aromen bilden. Auch diese Hefen verwenden nur das was bereits in den Trauben vorhanden ist, lediglich der veresterungsgrad ist deutlich höher, somit die Aromatik intensiver.

    Die Hefeindustrie und ihre Vermarkter erfindet sich jährlich aufs Neue, wie du es beschrieben hast, ständig werden neue Hefen angeboten. Leider wird selten der dazugehörige Hefestamm genannt, denn die Bekanntgabe dessen, würde uns „Verbrauchern“ zeigen, das in vielen unterschiedlichen Verpackungen mit unterschiedlichen Namen das gleiche drinsteckt 🙂

Schreibe einen Kommentar

Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.