Der Stein der Weisen?

Seit mehr als einem halben Jahr wird in den verschiedenen Gremien der EU an einer Reform der Weinmarktordnung getüftelt. Nach einem sehr weitreichenden, aber in sich widersprüchlichen Entwurf der Kommission hat offenbar vor einigen Tagen das Europaparlament darüber diskutiert und einige wesentliche Änderungswünsche vorgebracht. Einen zusammenfassenden Pressetext dazu gibt es hier, die komplette Entschließung des Europaparlaments hier zu lesen.

Wie auch immer er es geschafft hat, Blog-Leser Frank war einer der ersten, der in einem Beitrag im Wein-Plus-Forum darüber berichtet hat. Dem „offiziellen“ Magazin von Wein-Plus blieb hier nur mehr die Berichterstattung über die positive Reaktion des deutschen Weinbauverbandes am nächsten Tag.

Wie Wein-Plus anmerkt, ist die Entschließung des Europaparlaments für die endgültige Entscheidung der Kommission nicht bindend. Definitiv beschlossen ist die Reform also noch (lange) nicht und es bleibt noch jede Menge Spielraum für die Lobbyisten aus allen Ländern und Branchen. Schließlich steht jede Menge Geld auf dem Spiel und die Interessen könnten unterschiedlicher kaum sein.

Überproduktion und steigende Weinimporte

Einer der Hauptgründe für die Reform der Weinmarktordnung ist der strukturell bedingte Weinüberschuß der EU. Während es im Bereich der Qualitätsweine nur vergleichsweise geringe Probleme gibt, leidet der Sektor der einfachen Tafelweine besonders stark unter dem allgemeinen Rückgang des Weinkonsums und unter der Konkurrenz der billiger produzierbaren, qualitativ meist besseren Einstiegsqualitäten aus Übersee.

Den unter anderem dadurch in Europa ausgelösten Strukturwandel in der Weinwirtschaft versucht die EU aus sozialpolitischen (und auch wahltaktischen?) Gründen mit viel Steuergeld mehr oder weniger vergeblich effektiv zu bremsen. Die EU-Weinmarktordnung gibt dafür die Rahmenbedingungen vor, in dem sie neben Fragen der Bezeichnung, der Weinbehandlung und des Handels von Wein vor allem die Stabilisierung des Billigweinpreises durch Marktinterventionsmaßnahmen regelt.

Suvbentionierte Weindestillation und Rodung

Eines der Hauptinstrumente zur Preisstabiliserung ist die Destillation von Wein zu Alkohol (der heute dem Benzin beigemischt wird). Dabei wird mit EU-Geld Wein aufgekauft, der ob seiner Qualität als Wein de facto unverkäuflich ist und destilliert. Das führt der Theorie nach zu einem geringeren Weinangebot und damit zu stabileren Preisen für die Produzenten.

In der Praxis führt es aber auch dazu, daß die Destillation für die Produzenten einfachster Weinqualitäten aus Erträgen jenseits von Gut und Böse eine Art Abnahmegarantie darstellt. Das sie also sicher sein können, daß irgend jemand (also die EU) ihren Wein kaufen wird (wenn auch zu einem recht niedrigen Preis), egal wie er schmeckt.

Die Lehren, die diese Produzenten daraus ziehen entsprechen genau dem Gegenteil der EU-Intentionen: Sie unternehmen keinerlei Anstrengungen, um die Weinqualität zu verbessern. Schließlich spielt das Terroir beim Biosprit nicht wirklich eine Rolle. Und sie steigern die Erträge (und damit den EU-Weinüberschuß), um Ihren mageren Gewinn aus dem EU-Fixpreis zu maximieren.

Die zweite wichtige Maßnahme gegen Weinüberschüsse ist die Förderung von dauerhaften Weingartenrodungen. Diese Maßnahme ist mit dem „golden handshake“ in der Industrie vergleichbar. Man gibt einmal Geld aus, ist danach den nicht mehr benötigten Mitarbeiter (Wein) auf Dauer los und spart sich eine laufende Bezahlung (für die Beseitigung des Weinüberschusses).

Leider hat auch diese Methode ihre Tücken. Nicht alle Weinbauländer der EU verfügen nämlich über eine zuverlässige Verwaltung ihrer Rebflächen. Rodungsmaßnahmen sind also nicht überall so exakt über den Weinbaukataster zu kontrollieren wie z.B. in Österreich oder Deutschland. In unserem südlichen Nachbarland sollen gar nicht so wenige Rodungsmillionen für Weingärten versickert sein, die es eigentlich ohnehin nie gegeben hat. Oder für solche, die ohnehin bereits an Altersschwäche gelitten haben und deren Rodung keinerlei überschußmindernden Effekt hatte. Und die nach der Rodung vorschriftswidrig wieder neu ausgepflanzt wurden…

Außerdem hat sich über die Jahre gezeigt, daß alle bisherigen Rodungsaktionen den Weinüberschuß nicht beseitigen konnten. Etwa im selben Ausmaß in dem Europa in den letzten Jahrzehnten Weingärten (mit und ohne Förderungen) gerodet hat, haben die Weinbauländer der Neuen Welt ihre Flächen und ihre Exporte nach Europa ausgeweitet. Wenn man boshaft wäre, könnte man daraus den Schluß ziehen, daß die EU mit den Steuergeldern ihrer Bürger (und damit auch ihrer Winzer) den Weinkonzernen aus Übersee ein ergiebiges Betätigungsfeld eröffnet hat.

Von „defensiven“ zu „offensiven Maßnahmen

Diese Pferdefüße wurden bereits vor Jahren erkannt und so wurden bei der Erstellung der (noch) gültigen Weinmarktordnung vorsichtig auch „offensivere“ Maßnahmen beschlossen. Diesen liegt die Erkenntnis zu Grunde, daß die EU nicht nur Überschüsse verwalten oder Weinimporte aus Übersee erleichtern sollte. Vielmehr sollte sie den Winzern dabei behilflich sein, ihre Weine marktgerecht zu produzieren um in Folge ohne Förderungen im internationalen Wettbewerb bestehen zu können.

Aus dieser Idee heraus entwickelte man länderweise unterschiedliche Programme zur Umstrukturierung der Weingärten. In Österreich gibt es z.B. Beihilfen für die Neuauspflanzung von Weingärten, die eine gewisse Pflanzdichte und ein qualitätsförderndes Erziehungssystem aufweisen, und deshalb potenziell bessere (und damit besser vermarktbare) Weine erbringen.

Besonders stark wird auch z.B. die Errichtung oder Instandhaltung von Steinterrassen gefördert, da man annehmen kann, daß Weingärten mit Steinterrassen in hochwertigen Steillagen hochwertige Weine ergeben, die nicht zum EU-Weinsee beitragen.

Während sich unter anderem Deutschland und Österreich von der jetzt diskutierten Reform eine Ausweitung solcher „offensiver“ Maßnahmen erhoffen, stehen die großen Weinbauländer Italien, Frankreich und Spanien eher auf der Bremse. Schließlich haben ihre Winzer bisher am meisten von den Geldern für die Überschußverwertung profitiert und dementsprechend viel steht für sie auch politisch auf dem Spiel.

Zucker und RTK, das leidige Thema

Wie jedes Mal, wenn von den nördlicheren Weinbauländern ein wenig geliebter Vorschlag kommt, fordert Italien auch diesmal im Gegenzug ein Verbot der Aufbesserung mit Rübenzucker. Wenn der Alkoholgehalt von Wein nur noch mit rektifiziertem Traubensaftkonzentrat (einem dickflüssigen Zuckerkonzentrat aus Traubenmost, dem alle anderen Inhaltsstoffe weitgehend entzogen wurden) erlaubt wäre, würden sich alle Überschußprobleme in Luft auflösen, argumentiert man.

Schließlich vermehrt die Zugabe von Rübenzucker den Wein(überschuß), während bei der Verwendung von RTK zehntausende Hektar Weingärten nicht mehr Wein, sondern nur noch RTK produzieren und damit den Überschuß reduzieren würden. Praktischerweise ist Italien mit Abstand der Hauptproduzent von RTK und die potentiellen Abnehmer sind u.a. Deutschland und Österreich.

Auch wenn es manche anders sehen (oder zumindest in der Öffentlichkeit darstellen) ist die Aufbesserung in den nördlicheren Weinbauländern in manchen Jahren ein zur Qualitätssicherung notwendiges traditionelles Verfahren. Ob sie mit Rübenzucker oder mit RTK erfolgt macht aus der Sicht des Weingeschmackes keinerlei Unterschied. RTK ist aber empfindlich teurer als Rübenzucker, wesentlich heikler in der Anwendung, und da es (dick)flüssig ist deutlich anfälliger für den Verderb.

Aus diesen Gründen wehren sich vor allem Deutschland und Österreich gegen ein Verbot des Rübenzuckers und führen dabei ins Treffen, daß gerade jene Länder und Gebiete, in denen aufgebessert wird, nichts zum unverkäuflichen EU-Weinüberschuß beitragen. Frankreich hält sich in diesen Diskussionen offiziell meist zurück, interveniert aber im Hintergrund eher für die Beibehaltung des Status quo.

Wie es scheint, zieht Italien in diesem De-ja-vu-Streit wieder einmal den Kürzeren. Während nämlich der erste Entwurf der Kommission noch ein Verbot der Aufbesserung mit Rübenzucker vorsieht, spricht sich das EU-Parlament für eine Beibehaltung der bestehenden Regelungen aus.

Der Kampf um den Billig-Sektor

Auch ein weiterer, für den Konsumenten wesentlicher Ansatz des Kommissions-Entwurfes wird vom Parlament wenig goutiert (wenn ich den dezenten Hinweis richtig deute). Um auf dem Billig-Sektor den Weinen aus Übersee besser Konkurrenz machen zu können sieht der Vorschlag der Kommission eine bezeichnungsrechtliche Aufwertung des Tafelweines vor.

Um den Unterschied zu den höheren Qualitäten hervorzuheben darf Tafelwein bisher weder eine Sorten-, noch eine Jahrgangs- oder Gebietsbezeichnung tragen. Diese Einschränkungen sollen nach dem Willen der Kommission aufgehoben werden, offenbar um den Überseeweinen im Billig-Sektor EU-Tafelweine mit Sorte, Jahrgang und Gebiet entgegenstellen zu können.

Dieser Ansatz ist zwar zweifellos „offensiv“, zieht aber wohl eher das Preisniveau der Qualitätsweine nach unten, als das der Tafelweine nach oben. Und es kann wohl nicht im Sinn der EU sein, den relativ gut funktionierenden Bereich der Qualitätsweine durch bezeichnungsrechtlich kaum, preislich aber sehr deutlich unterscheidbare Tafelweine zu konkurrenzieren.

Langer Rede, kurzer Sinn

Wie viele andere Winzer betrifft mich die EU-Weinmarktordnung nur sehr am Rande. Rodung und Destillation sind kein Thema und Umstrukturierungsförderungen sind zwar eine Hilfe, aber kein Argument für eine Weingartenneuauspflanzung. Schließlich produzieren wir Qualität weil wir und unsere Kunden das so wollen, und nicht, weil es dafür Fördergelder gibt.

Sorten- und Jahrgangsbezeichungen auf Tafelweinen würden uns zwar mittelfristig dazu zwingen, den Unterschied zum Qualitätswein noch besser darzustellen. Überbewerten sollte man die Sache aber wohl nicht, zumal die meisten Konsumenten weniger nach der Qualitätskategorie als nach dem Namen bzw. der Sorte, dem Image und vor allem dem Preis einkaufen. Und da macht es wenig Unterschied, ob auf der 99-Cent-Bouteille im Supermarkt Tafelwein, Landwein oder Qualitätswein steht.

Und selbst mit dem Verbot der Zucker-Aufbesserung könnten wir zur Not leben. So riesig ist der Aufbesserungsbedarf nun auch wieder nicht, daß man sich nicht mit dem teureren und mühsameren RTK auseinandersetzen könnte.

Der Winzer in mir macht sich also relativ wenige Gedanken darüber, was die EU-Gremien letztendlich beschließen. Der EU-Bürger aber fragt sich, ob ein derartiger Umverteilungs- und Bürokratieaufwand in Relation zum eher bescheidenen Erfolg der Weisheit letzter Schluß sein kann.

Oder ob eine weitgehende Liberalisierung des EU-Weinmarktes (mit Übergangshilfen für die davon existenziell betroffenen Winzerkollegen) nicht deutlich schneller, billiger und effektiver zum gleichen Ziel führen würde.

6 Gedanken zu „Der Stein der Weisen?“

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