Blindverkoster sind auch nur Menschen (13)

 Foto: ÖWM-Griesch komprimiert

Auch die geübtesten (Blind-)Verkoster sind nur Menschen. Und den besten von ihnen ist immer bewußt, dass irren zum Menschsein dazugehört und es in (Wein-)Geschmacksfragen niemals eine richtige, eine alleingültige Meinung geben kann.

Verkostungserlebnisse, die mich daran erinnern, zählen deshalb zu meinen wichtigsten Erfahrungen:

Verschwimmende Koordinaten

Die Geschmacksvorlieben der heimischen Meinungsmacher in Sachen Wein befinden sich, wie z.B. hier für die Sorte Blaufränkisch beschrieben, stark im Wandel. Anders als noch vor zwei, drei Jahren singen heutzutage die allermeisten Weinmedien das hohe Lied der Eleganz und Feinheit (auch wenn dann nicht selten trotzdem die dicken Brummer auf den Podestplätzen der einschlägigen Verkostungen landen).

Wie es scheint, führt diese Entwicklung aber nicht nur zu einer Verschiebung der Stilbewertungskriterien in den Weinmedien, sondern vermehrt auch zu Fällen der völligen Auflösung des bisherigen Koordinatensystems der Weinbewertung.

Diesen Schluß könnte man zumindest aus einigen Beobachtungen der letzten Zeit ziehen. Während nämlich bisher bei allen unterschiedlichen stilistischen Vorlieben die Trennung zwischen „hochwertig-gehaltvoll“ und „alltäglich gut“ doch meistens funktionert hat, verschwimmt diese Grenze immer öfter.

So wurde z.B. unlängst unser „normaler“ Blaufränkisch in der gleichen Verkostung (und wie man vermuten kann in der Probenfolge nur vielleicht ein, zwei Weine davor) höher bewertet, als unser zwei Stufen darüber liegender Leithaberg-Blaufränkisch.

Damit sind wir freilich bei weitem nicht allein. Ohne Recherche fällt mir auf anhieb ein Kollege ein, dem in einer anderen Publikation mit zwei Grünen Veltlinern verschiedener Qualitäts- und Preisklassen Ähnliches widerfuhr.

Und wieder anderswo wurde ein zweifellos gut gemachter und nett zu trinkender, aber bewußt unreif geernteter, mit allen Regeln der Kellertechnik vinifizierter und mit jede Menge Restzucker aufgepeppter Wein mit einer Bewertung von 90 Punkten geadelt.

Flaschenfehler- oder reihenfolgebedingte Einzelfälle? Vielleicht. Möglicherweise aber auch ein Hinweis darauf wie schwer es auch für Profis sein kann, „feingliedrig“ von „einfach gestrickt“ zu unterscheiden.

5 Gedanken zu „Blindverkoster sind auch nur Menschen (13)“

  1. Lieber Bernhard, ich denke das mit der Hochwertigkeit von Weinen hat sicher seine gute Berechtigung. Ich persönlich würde sehr gerne mehr das Vermögen haben gute von weniger guten Weinen zu unterscheiden. Ich gebe mich gerne der emotionalen Situation beim Weintrinken hin. So kann ein einfacher, kühler Rosado am sonnigen Strand von Barcelona ein nachhaltigeres Erlebnis sein als ein hochwertiger Wein bei einem Fernsehabend. Was mich immer wieder erstaunt, ist dass ein und derselbe Wein von mir sehr unterschiedlich wahrgenommen wird. So ist es zum einen ein riesiger Unterschied, wie lange der Wein schon geöffnet ist. In 4 Tagen macht eine Flasche eine recht erstaunliche Entwicklung durch bis sie getrunken ist. Zum anderen kann ein in den Synapsen eingeprägtes positives Geruchs- und Geschmacksbild sich beim Öffnen einer neuen Flasche des gleichen Weines in einer leichten Enttäuschung münden. Ich denke dass auch ein Prüfer von solchen „Fehlerquellen“ nicht frei ist, zumal er einige Weine hintereinander probiert und es dadurch leichter zu einer „Geschmacksverirrung“ kommen kann.
    Das sind so meine Gedanken als Laie zu diesem Thema. Welche Erfahrungen hast Du persönlich als Profi gemacht? Wie ist es, wenn Du Deine Weine an verschiedenen Tagen probierst? Ich könnte mir vorstellen dass Euphorie und Zweifel über die subjektive Beurteilung der eigenen Weine sich öfters die Hand reichen.

  2. Hallo Helmut!

    Ich kann deine Gedanken sehr gut nachvollziehen, weil es mir oft ähnlich geht wenn Euphorie und Zweifel sich wieder einmal die Hand reichen, wenn es um das Verkosten der eigenen Weine geht.

    Wie hier bereits einmal geschrieben, neige ich dazu, den Grund für die ungewohnte Wahrnehmung eines Weines eher bei mir zu suchen, als beim Wein. Gerade bei den Jungweinen merkt man nämlich recht gut, wie sehr die eigene Befindlichkeit den Weingeschmack verändern kann.

    Um trotzdem eine Entscheidungsgrundlage für die Kellerarbeit zu haben, ist es wichtig, die Jungweine so oft wie möglich in allen Lebenslagen zu verkosten, um unterscheiden zu können, welche Geschmacksveränderung am Verkoster und welche wahrscheinlich eher am Wein liegt.

    Kennt man einen Wein nicht so gut, wie der Winzer seine eigenen, dann ist diese Unterscheidung natürlich sehr schwer. Gute Verkoster sind sich dessen wohl bewußt, aber trotzdem findet man sehr sehr oft Aussagen, die das völlig ignorieren.

    Viele Grüße

    Bernhard

  3. Hallo Bernhard,

    vielleicht waren die „althergebrachten“ Beurteilungsmuster auch nur inhaltlich etwas einfach gestrickt – nach dem Motto „hoher Aufwand und geringer Ertrag => hoher Preise => viele Punkte“. Wenn es so einfach wäre, bräuchte man aber gar keine Verkoster mehr, sondern ein Blick auf die Preisliste würde ausreichen. Vielleicht ist die „Auflösung des Koordinatensystems“ (wie du es sehr schön beschreibst) einfach mehr an der Realität des Weins als (unberechnenbaren) Naturprodukts, wo nicht immer einfach die Formel „hohe Kosten = hohe Qualität“ stimmt?

    Grüße,
    Gerald

  4. Hallo Gerald!

    An deinen Überlegungen ist zweifellos was dran, und ich habe gelegentlich auch schon selbst in diese Richtung argumentiert.

    Es ist tatsächlich nicht einzusehen, warum „einfachere“ Weine all zu oft unter ihrem Wert geschlagen werden. Und ich bin auch z.B. kein Freund der häupfig praktizierten Theorie, Hochprädikate verdienten von Haus aus mehr Punkte, weil sie konzentrierter und rarer sind, als „normale“ Weine.

    Andererseits sind wir Winzer aber ja auch nicht ganz blöd und haben durchaus ein wenig Ahnung von der Wertigkeit unserer einzelnen Chargen. Auch abseits der Frage Wucht vs. Eleganz. Also z.B. in Sachen Vielschichtigkeit des Aromas, Lagerpotential, etc.

    Weil wir die Chance haben, uns diese Einschätzung der Wertigkeit in unzähligen Verkostungen über Monate oder gar Jahre vor der Abfüllung zu erarbeiten, steht sie auch auf einer ganz anderen Basis, als die Momentaufnahme in einem Wettbewerb.

    Aber wie auch immer. Ereignisse wie das oben geschilderte lösen bei mir auf jeden Fall immer einen Zwiespalt aus: Soll ich mich über die tolle Bewertung unseres „normalen“ Weines und das dementsprechend gute Preis-Leistungs-Verhältnis freuen, oder über die (weniger durch die konkrete Punktezahl, als meiner Meinung nach durch die Relation zum Ausdruck gebrachte) Unterschätzung des hochwertigeren ärgern?

    Spannend ist auf jeden Fall, dass sich solche Dinge zu häufen scheinen.

    Grüße

    Bernhard

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