Weinrallye #63: Anbaustopp?

Heute ist wieder Weinrallye-Tag, und alle deutschsprachigen Genussblogger die Lust dazu haben beschäftigen sich auf Vorschlag des Blogs Weinbau & Oenologie von Sebastian Holey mit der Diskussion um die Beschränkung oder Freigabe der Rebflächen innerhalb der Europäischen Union.

Da ich fürchte, dass dieses Thema Nicht-Insidern wenig geläufig ist, erlaube ich mir – selbst auf die Gefahr hin, dass das auch andere tun – zuerst ein paar erklärende Worte, bevor ich dazu Position beziehe.

Überschussregulierung und Sozialpolitik

Steigende Erträge durch intensivere Bewirtschaftung und sinkender Weinkonsum durch geänderte Trinkgewohnheiten haben innerhalb der EU in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu enormen Weinüberschüssen geführt. Der damit verbundene Preisverfall hat vor allem kleinere Weinbaubetriebe, die in Italien, Spanien und Frankreich kaum durch sozialpolitische Maßnahmen (Krankenversicherung, etc.) abgesichert waren, nicht selten an den Rand des Ruins gebracht.

Der Vorstellung von Agrarpolitik der damaligen Zeit folgend, wurde einerseits jahrzehntelang enorm viel EU-Geld ausgegeben um die Preise zu stabilisieren (und so diesen Produzenten indirekt zu helfen). Überschussweine, die niemand trinken wollte, wurden aufgekauft, bis zur nächsten kleinen Ernte zwischengelagert oder zu Industriealkohol destilliert.

Andererseits versuchte man ein weiteres Ansteigen der Überschüsse zu verhindern, indem die Weinproduktion durch sogenannte Pflanzrechte beschränkt wurde. Neue Reben durften (und dürfen theoretisch bis heute) EU-weit nur dort gepflanzt werden, wo zuvor alte Reben gerodet wurden.

Im Prinzip verband man damit also die Erlaubnis, Weinbau zu betreiben mit einem konkreten Grundstück, womit (quasi als sozialpolitischer Nebenaspekt für verkaufswillige Kleinbetriebe) dessen Wert ein wenig gesteigert wurde. Am Markt erfolgreiche Betriebe, die sich vergrößern wollen, können das (theoretisch) nur tun, wenn sie diese Grundstücke oder zumindest das auch unabhängig davon handelbare Pflanzrecht käuflich erwerben. Mehrere Jahre nicht genutzte Pflanzrechte verfallen, was ebenso zur Überschussreduktion beitragen soll, wie das Aufkaufen hunderttausender Hektar Pflanzrechte durch die EU (mit sogenannten „Rodeprämien“).

Das System der Pflanzrechte „schützt“ aber nicht nur jene Weinbauern, die sie besitzen (weil sie zufälligerweise bei deren Einführung ihre Grundstücke mit Reben bestockt hatten), sondern auch ganze Weinbauländer. Innerhalb ihrer Grenzen schieben sie die Kontingente je nach Bedarf hin und her (wodurch z.B. Bordeaux in den letzten Jahren enorm auf Kosten von Südfrankreich wachsen konnte), oder sie sind bei der Kontrolle der eigenen Weinbaukataster nachlässig genug, um der eigenen Weinwirtschaft mehr Flexibilität zu erlauben, als jene Mitgliedsländer, die die Richtlinien konsequenter umsetzen.

Großer Einklang herrscht bei den Weinbauländern der EU freilich, wenn es darum geht, mittels Pflanzrechtsregime zu verhindern, dass (auch klimawandelbedingt) völlig neue Weinbauländer und -regionen entstehen. Wo bislang kein Weinbau war, gibt es natürlich auch keine Pflanzrechte, und weil die Furcht vor Weinüberschüssen aus Dänemark, Polen und Co. offenbar sehr groß ist, lassen sich Frankreich, Italien und Co. jegliches diesbezügliche Zugeständnis teuer abringen.

Liberalisierungstendenzen und Strukturkonservatismus

Nicht zuletzt aufgrund solcher Entwicklungen ist dem einen oder anderen Verantwortlichen in der EU-Bürokratie wohl klar geworden, dass das System der Pflanzrechte nicht mehr wirklich zeitgemäß ist. Und obwohl die meisten traditionellen EU-Weinländer dagegen waren, gelang es, das Auslaufen des Pflanzrechtesystems im Jahr 2015 (mit Übergangsfristen) in die letzte Reform der Weinmarktordnung einzubauen.

Wahrscheinlich hatten einige Länder (bzw. deren Agrarpolitiker) allerdings schon damals vor, dieses Ende nie in Kraft treten zu lassen. Schon bald nach dem Beschluss begann nämlich das Lobbying für eine Beibehaltung der Pflanzrechte. Länderübergreifende Arbeitsgruppen wurden gebildet, Studien in Auftrag gegeben und unbeteiligte Länder gezielt als Bündnispartner angeworben.

Das Hauptargument neben den angeblich drohenden Weinüberschüssen samt Preisverfall und Existenzbedrohung der kleinstrukturieren EU-Weinwirtschaft war dabei vor allem in Deutschland und Österreich die Bedrohung des Steillagenweinbaues. Nur der Anbaustopp durch das System der Pflanzrechte bewahre den bäuerlichen Weinbau und sichere die Kulturlandschaften an Mosel, Rhein, Donau und Douro, heißt es immer öfter.

Wie es scheint mit Erfolg. Glaubt man den ersten Informationen, scheint alles auf das Beibehalten des Pflanzrechtesystems hinauszulaufen, auch wenn dieses (wohl mit massivem Bürokratieaufwand) ein klein wenig flexibilisert werden soll.

Zum einen sind alle Beteiligten an das Pflanzrechtsregime gewöhnt, und die konservative Weinbranche (sowie insgesamt die Landwirtschaft) tut sich immer mit größeren Veränderungen schwer. Zweitens zementieren die Pflanzrechte den aktuellen Besitzstand (bzw. den zu Zeiten des EU-Beitrittes oder früherer Rebflächenbestandsaufnahmen), den zu verwalten für alle Beteiligten einfacher ist, als mit neuen Gegebenheiten umgehen zu lernen.

Drittens ist damit eine gewisse (Markt-)Macht verbunden, die von Weinbauverbänden, -behörden, -bundesländern und Staaten gelegentlich auch benutzt wird. Und viertens scheut man die Abschaffung, weil man meint (und entprechende Ängste schürt) damit in die Zeit der EU-Weinüberschüsse zurückzufallen und die gleichen teuren Maßnahmen von damals wieder anwenden zu müssen.

Dabei wird jedoch gerne übersehen, dass die Situation heute eine ganz andere ist, als anno 1970. Viele, sehr viele der Kleinstbetriebe, die einerseits gemeinsam hauptverantwortlich für die Flächenausweitung  waren, andererseits aber auch deren Hauptleidtragende, existieren heute nicht mehr. Das macht einerseits massive Flächenausweitungen ziemlich unwahrscheinlich, weil es für wirklich spürbare Steigerungen eine breite Auspflanzungswelle aller Beteiligten braucht (und kleinflächige Erweiterungen und/oder einzelne größere Projekte dafür nicht ausreichen).

Andererseits ist die Zahl der von (befürchteten) Überschüssen Betroffenen heute viel, viel geringer (wobei diese heute auch noch viel besser sozial abgesichert sind). Dass es außerdem sinnvoller, transparenter und wohl auch billiger ist/wäre, diesen Menschen direkt mit sozialpolitischen Werkzeugen oder speziellen auflagengebundenen Förderungen (für Bioanbau, Landschaftspflege, Steilhangbewirtschaftung,…) zu helfen, anstatt mit wenig wirksamen und oft auch kontraproduktiven Markteinschränkungen will die Agrarpolitik der meisten Länder nicht verstehen.

Längst bewiesen: Es funktioniert nicht

Wie wahrscheinlich unschwer zu erraten, halte ich von Pflanzrechten und Anbaustopp nicht all zu viel. Nicht zuletzt, weil die Praxis längst bewiesen hat, dass beides schlicht und einfach nicht im Sinne seiner Verteidiger funktioniert.

Trotz Pflanzrechten und Marktstützungsmaßnahmen hat die Zahl der europäischen Weinbaubetriebe in den letzten Jahrzehnten geradezu dramatisch abgenommen. Auch wenn man versucht, Konkurrenz zu verhindern, ist Weinbau heutzutage nämlich erst ab einer gewissen Betriebsgröße und mit einem gewissen Know-How wirtschaftlich sinnvoll.

In einer globalisierten Welt (deren Vorteile die europäischen Winzer in vielen Bereichen gerne nützen), führt das Einzementieren der eigenen Strukturen nicht zu einer stabileren Marktsituation für die EU-Weinbauern, sondern lediglich zu mehr Konkurrenzdruck durch Produzenten aus Ländern, die flexibleres Agieren ermöglichen. Die Pflanzrechte mögen dem kleinen europäischen Genossenschaftszulieferer vielleicht den expandierwilligen Nachbarn ein wenig vom Leib halten. Dafür machen sie allerdings beide zur leichten Beute für die chilenische Großkellerei, den australischen Großabfüller, den kalifornischen Weingiganten.

Aufgrund des Strukturwandels gibt es in vielen EU-Weinländern seit Jahren tausende Hektar ungenutzte Pflanzrechte. Trotzdem erleben wir keinerlei Expansionsboom, wie ihn die Systemerhalter gerne für die Zeit nach dem Ende der Beschränkungen an die Wand malen. Das könnte nicht zuletzt auch daran liegen, dass es wirtschaftlich sinnvoller ist, Billigwein (dessen Herkunft ziemlich egal ist), vom jeweils günstigsten (Übersee-)Anbieter zu importieren, anstatt dafür massenhaft neue Weingärten innerhalb der EU auszupflanzen.

Betrachtet man die betroffenenen Gebiete, scheint den Steillagen das derzeitige (vermeintliche) Verhindern von Pflanzungen auf neuen Flächen in der Ebene auch nicht wirklich zu helfen. Ihr Verfall läßt sich nämlich nicht dadurch stoppen, dass man andere daran hindert, kostengünstiger zu produzieren. Sondern höchstens dadurch, dass es gelingt, dem Konsumenten den höheren eigenen Herstellungsaufwand schmeck- und nachvollziehbar zu machen.

Unzeitgemäße Bevormundung

Da ich nicht vor habe, groß zu expandieren (und man mir deshalb auch kaum vorwerfen kann, ich würde die Abschaffung der Pflanzrechte aus purem Eigennutz fordern), geht es mir bei diesem Thema vor allem ums Prinzip. Ich empfinde die Einschränkung der Rebpflanzung abgesehen von ihrer Nutzlosigkeit schlicht und einfach als eine nicht mit höheren Interessen zu begründende Einschränkung der unternehmerischen Freiheit einer ganzen Branche.

Wenn man wirklich die Interessen des Weinbaues und der Allgemeinheit im Sinn hat, sagt man nicht einfach „Njet!“. Man versucht stattdessen die Auspflanzungs-Entscheidungen der Weinbauern z.B. mit gemeinsam erarbeiteten „Flächennutzungsplänen“ in geordnete Bahnen zu lenken, um eine Zersplitterung der geschlossenen Weinbaufluren zu vermeiden. Man überlegt sich intelligente Fördersysteme für die Pflege landschaftlich und touristisch wertvoller, aber schwer zu bewirtschaftender Steillagen. Gibt Hilfestellung für einen ressourcenschonenden Anbau und eine effektivere Vermarktung.

Und sagt „Njet!“, wenn ein Winzer, ein Gebiet oder ein ganzes Weinland die Folgen seiner weinwirtschaftlichen Fehlentscheidungen durch die Beschränkung der Mitbewerber abmildern oder deren Kosten  auf andere abwälzen möchte, wie das in der Vergangenheit oft funktioniert hat.

Hier gibt es auch noch einen älteren (und kürzeren) Beitrag von mir zum Thema: https://bernhard-fiedler.at/weblog/?p=3600

12 Gedanken zu „Weinrallye #63: Anbaustopp?“

  1. Hervorragend die Situation beschrieben – Lösungsansätze werden (meines Erachtens) leider kaum aufgezeigt – doch im Grundtenor sicher richtig: unzeitgemässe Bevorbundung. Man müsste halt doch wieder häufiger vom Wein sprechen und von seiner Qualität und weniger von der durchwegs missratener Weinpolitik der EU und dem unternehmerischen Ziel von Grossinvestoren (z.B im Bordelais) nach optimierung der Rendite. Ich kenne die Situation in Frankreich recht gut, spreche auch oft mit „kleinen“ Weinbauern und ich bin entsetzt, was da – unter Obhut der EU – alles abläuft. Auch wenn ich zugeben muss, dass der Starrsinn vieler eingesessener Weinbauern oft unbegreiflich ist. Man müsste halt mehr Politik auf dem Hintergrund gewachsener Kultur betreiben und nicht auf Grund schon bald globaler Verordnungen im fernen Brüssel oder anderswo.
    Herzlich
    Peter

  2. Sind schon gute Ansätze drin, aber „Aufgrund des Strukturwandels gibt es in vielen EU-Weinländern seit Jahren tausende Hektar ungenutzte Pflanzrechte.“ Was hier fehlt ist die Unterscheidung Pflanzrecht flach und Pflanzrechte Steil/Steilst.
    Im Flachen gibt es nämlich so gut wie keine mehr (wobei das auch immer Phasenweise ist) Im Steilhang bekommt man die Pflanzrechte hintergeworfen.

    Was bedeutet das konkret….fällt der Anbaustopp –> nochmehr Verlagerung in die Flachlagen als im moment sowieso schon gemacht wird und noch weniger Steilhang…. nicht schlimm?
    Na dann kucken wir mal wie der Mittelrhein, Rheingau, Ahr (vielleicht nicht so extrem) und natürlich die Mosel dann aussehen….. Folgen… kein Steilhangweinbau, kein Touristen, aus die Maus für Gastronomie Betriebe, und alle die nur Ansatzweise damit zu tun haben……. Der Anbaustopp ist auch nicht das Allheilmittel, wenn man die vorgenannten Regionen stärken will (wobei der Rheingau auch nicht unbedingt ein Problem hat….geschweige denn die Ahr) müssen andere Lösungsansätze her. Gerade die Mosel schwächelt ja daran, dass keine Zahlungskräftige Kundschaft vor der Haustüre sitzt (anders als im Rheingau oder Ahr) Lösungsansätze wie z.b.: das alleine schon der Begriff Steilhang geschützt werden muss und dann nicht nachher eine Flasche Steilhangwein im Discunter für paar Euro fünfzig verramscht wird!

    my 2 cents

  3. die meisten Weinbauern, die gegen eine Lockerung des Anbaustops sind, sind nicht begründet dagegen sondern einfach weil sie keine Änderungen möchten. Wo käme man denn dahin, wenn sich alle Jahrzehnte was ändert…
    Die Begründung, der Markt würde dann mit billigen Massenwein überschwemmt werden, ist unhaltbar – schließlich ist der Markt schon längst mit billigem minderwertigem Wein überschwemmt, da ändert auch eine Lockerung des Anbaustops nichts. Die Winzer die durch Qualität überzeugen, werden auch in Zukunft Qualität herstellen. Und die ewig lebenden Pendelbogen-bindenden und Unkrautspritzenden alt eingesessenen Bauern werden so oder so nicht überleben. Denn die alte Stammkundschaft stirbt weg oder sucht sich noch billigere Winzer.

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