Der gläserne Wein (9)

In dieser Serie stelle ich, wie im ersten Beitrag angekündigt, jene Weinbehandlungsmittel und -zusatzstoffe ausführlich vor, die in unserem Keller bei der Weinbereitung zum Einsatz kommen. Das Gesamtbild unserer „gläsernen“ Weine entsteht dabei nach und nach in der entsprechenden Beitragskategorie und in Form von Querverweisen zu den einzelnen Teilen dieser Serie unterhalb des ersten Beitrages.

Schwefeldioxid (SO2)

Wie in Teil 3 bereits beschrieben, kommt bei uns bei Most und Maische SO2 nur fallweise in Form von Kaliumpyrosulfit als Oxidationsschutz zum Einsatz. Im fertigen Wein ist SO2 hingegen (für den von uns und den allerallerallermeisten Kellermeistern weltweit angestrebten Weinstil) ein unverzichtbarer Zusatzstoff.

Obwohl Kaliumpyrosulfit auch im Wein funktioniert, bevorzugen wir für die Weinschwefelung reines SO2, das unter Druck verflüssigt wurde und in speziellen Gasflaschen erhältlich ist.

Neben dem „natürlichen“ Wasser, (fallweise) der zu Alkohol vergorenen Saccharose und (fallweise) den aus dem Barrique gelösten Holzinhaltstoffen, ist SO2 de facto der einzige „künstliche“ Zusatzstoff, der in unseren „fertigen“ Weinen enthalten ist. Alle anderen in dieser Serie beschriebenen bei uns verwendeten Substanzen werden im Zuge des Ausbaues und der Filtration wieder aus dem Wein entfernt.

Da SO2 (bzw. seine Bindungsprodukte) bei sehr empfindlichen Personen (und/oder bei in qualitativ hochwertigen Weinen unüblichen bzw. verbotenen hohen Mengen) allergische Reaktionen hervorrufen kann, muß es seit einigen Jahren in Form der Bezeichnung „Enthält: Sulfite“ auf dem Etikett deklariert werden.

Auch ungeschwefelte Weine enthalten mehr oder weniger geringe Mengen an SO2, das während der Gärung von der Hefe gebildet wird. Die Deklarationspflicht für SO2 hilft empfindlichen Personen also nicht wirklich weiter und erspart ihnen wohl nicht den generellen Verzicht auf Wein.

Die Wirkungsweise

SO2 erfüllt im Wein mehrere Aufgaben, die bisher von keinem anderen Zusatzstoff ähnlich gut gemeistert werden können. Ascorbinsäure („Vitamin C“) ist zwar zum Beispiel in der Lebensmittelindustrie als Oxidationsschutz weit verbreitet, funktioniert aber im Wein (hohe Säure, Alkohol,…) nur eingeschränkt bzw. nur gemeinsam mit SO2.

Schwefeldioxid ist in der Lage, oxidationsanfällige und mittelfristig den Geschmack beeinträchtigende Gärungsnebenprodukte aus dem Stoffwechsel der Hefe abzubinden und damit unwirksam zu machen.

Darüber hinaus schützt SO2 den Wein vor einer allzuschnellen Reaktion mit Sauerstoff (aus der Luft), weil es Oxidationsenzme hemmt und auch direkt mit Sauerstoff reagiert, bevor dieser Aroma- und Farbstoffe des Weines negativ verändern kann.

Außerdem wirkt SO2 gegen Mikroorganismen und bremst damit den Verderb des Weines. Die zugelassenen und üblichen Mengen reichen zwar bei weitem nicht aus, um Mikroorganismen abzutöten, Essigsäurebakterien und andere werden aber zumindest gehemmt und können damit bei sauberem Traubenmaterial und guter Kellerhygiene in den allermeisten Fällen in Schach gehalten werden.

Jener Teil des SO2, der bereits an Gärungsnebenprodukte, Oxidationsenzyme oder Sauerstoff gebunden ist, ist zwar noch im Wein (als „gebundenes“ SO2) vorhanden, wirkt aber weder gegen Sauerstoff noch gegen Bakterien.

Da der Wein aber ständig einer gewissen Menge an Sauerstoff ausgesetzt ist, nimmt der freie (wirksame) SO2-Spiegel laufend ab und muß von Zeit zu Zeit kontrolliert und gegebenenfalls ergänzt werden. Dieser Vorgang kann nicht beliebig wiederholt werden, da das Weingesetz Obergrenzen für die gesamte Menge (frei plus gebunden) SO2 vorschreibt, die bei der Prüfnummer auch kontrolliert werden.

In der Praxis

Bei den Weißweinen warten wir mit der ersten (Jungwein)Schwefelung üblicherweise nach dem Ende der Gärung so lange wie möglich zu und nützen die sauerstoffbindende Wirkung der Hefe, um Oxidation zu vermeiden. Das sichert den Jungweinen nicht nur eine gewisse positive Entwicklungsmöglichkeit mit Luft, sondern beugt auch dem Böckser vor (einem Fehler, der zu übelriechenden Weinen führt) und führt dazu, dass die Gärungsnebenprodukte noch zum Teil von der Hefe abgebaut werden und dafür weniger SO2 erforderlich ist.

Ein bis drei Wochen nach Gärende geben wir den Weinen etwa 40 bis 60 Milligramm SO2 pro Liter zu, von denen etwa die Hälfte von den Gärungsnebenprodukten abgebunden wird und die andere Hälfte frei und wirksam bleibt. Bis zur Abfüllung wird der Gehalt an freiem SO2 alle ein bis zwei Monate kontrolliert und gegebenenfalls auf rund 25 bis 30 mg/l ergänzt.

Für die Abfüllung wird ein höherer Wert an wirksamem SO2 angestrebt, sodass unsere Weißweine etwa mit 40 bis 50 mg/l freiem bzw. je nach Faßreifezeit mit 80 bis 150 mg/l gesamtem SO2 in die Flasche kommen.

Die Rotweine werden nach dem biologischen Säureabbau relativ bald geschwefelt, benötigen allerdings deutlich weniger SO2, weil der Säureabbau auch die schwefelbindenden Substanzen im Wein reduziert. Als erste Gabe genügen normalerweise 40 bis 50 mg/l und in Folge wird ein stabiler Gehalt an freiem SO2 von rund 30 mg/l gehalten.

Da Rotwein (nicht nur) durch die Lagerung in Fässern mehr Sauerstoff aufnimmt bzw. für die Reifung der Tannine aufnehmen muß, ist der Umgang mit SO2 ein Balanceakt zwischen ungenügender Entwicklung (durch zu hohe SO2-Gehalte) auf der einen Seite und Oxidations- und Mikroorganismenrisiko auf der anderen.

Wenn die Kellertemperatur während der Sommermonate deutlich steigt, erhöhen wir den Gehalt an freiem SO2 meistens auf etwa 40 mg/l, um keine Essigsäurebakterien oder Brettanomyces-Hefen aufkommen zu lassen. Bei der Abfüllung liegen unsere Roten dann in der Regel bei 40 bis 45 mg/l freiem und 80 bis 120 mg/l gesamtem SO2.

Prädikatsweine benötigen höhere SO-Gaben, weil bereits die für das rosinenartige Einschrumpfen der Beeren verantwortliche Edelfäule SO2-bindende Substanzen erzeugt. Darüber hinaus verbleiben bei einer nicht vollständigen Vergärung des Zuckers mehr Gärungsnebenprodukte im Wein. Aus diesem Grund sind auch (je nach Prädikatsstufe gestaffelt) höhere Werte erlaubt.

Die Grenzwerte für weiße trockene Tafel-, Land-, Qualitäts- und Kabinettweine liegen bei maximal 50 mg/l freiem und maximal 210 mg/l gesamtem SO2. Für die Roten betragen sie 50 bzw. 160 mg/l.

Fazit

SO2 ist ein seit Jahrtausenden verwendeter Wein-Zusatzstoff, ohne den ein fruchtbetonter Weinstil und eine gewisse Stabilität des Weines in der Flasche kaum zu erreichen ist. Die hemmende Wirkung von SO2 auf zahlreiche Mikroorganismen senkt die Quote an Weinfehlern.

Darüber hinaus sind Zeitpunkt und Dosierung der SO2-Gaben wesentliche Einflußmöglichkeiten des Kellermeisters auf den Weinstil. Frühe und hohe SO2-Gaben können den Weinen mehr Fruchtaromen und Frische bewahren, sie aber auch verschlossen und eindimensional machen. Späte und/oder niedrigere Dosen können komplexere und langlebigere Weine erbringen, aber auch müde und überalterte.

Die heute zugelassenen (und ab der Stufe Qualitätswein mit der staatlichen Prüfnummer auch obligatorisch kontrollierten) Höchstmengen werden von den allerallermeisten Menschen gut vertragen. Weine aus hochwertigem Traubenmaterial und sorgfältiger, hygienischer Kellerwirtschaft enthalten in der Regel deutlich weniger SO2, als erlaubt.